„Dort oben laufen nur Touristen herum“, meint unser Fahrer José, für einen Madeirenser sei die Route vom Pico do Arieiro zum Pico Ruivo viel zu beschwerlich.
Die Berge beherrschen die Landschaft Madeiras. Eine Felsenkette durchzieht die Insel von Osten nach Westen, wie die zu Stein gewordenen Huster eines urzeitlichen Vulkanausbruches. ragen die Gipfel in den Himmel. Oft hinter dicken Nebelbänken versteckt, sind diese Gebilde aus erstarrten Lavaströmen nur an wenigen Tagen zu sehen. Solche Augenblicke sollte man nutzen und ohne Umschweife zum Pico do Arieiro hinauffahren. Der dreistündige Weg zum Pico Ruivo gehört zu den spannendsten Wanderungen im madeirenischen Gebirge. Doch das Wetter ist ein launischer Geselle in den Bergen der Atlantikinsel. Eben noch makelloser Sonnenschein wabern in Minutenschnelle dicke Nebelschwaden aus dem Tal empor oder ergießen Regenwolken über Stunden ihren nassen Inhalt.
Erstaunlich kalt ist es an der Pousada do Arieiro, dem Startpunkt der Wanderung. Welch ein krasser Unterschied zur sommerlichen Wärme der Hauptstadt Funchal, vierzig Kilometer entfernt. Noch freut man sich über jeden wärmenden Sonnenstrahlen, und bequem geht es auf einem gepflasterten Weg zum Gipfel des 1818 Meter hohen Pico do Arieiro. Fast archaisch wirken die Geländer aus den knorrig verformten Lorbeerästen, die hier überall zu finden sind. Ein Plateau gestattet den ersten Rundblick in die tiefen Schluchten und über die wilde Landschaft Madeiras. Geradezu abschreckend wirken die Basaltfelsen in ihrer Unberührtheit, kein Haken verletzt das Gestein. Es grenzt an ein Wunder, daß sich dort immer noch Pflanzen festkrallen können und ein mageres, aber beharrliches Dasein fristen. Und dazwischen knallt das Rotgelb oder Rotbraun des Basalts hervor, bietet markante Kontraste zum milden Grün der hadernden Vegetation. Die Morgensonne läßt die Steine leuchten, langsam kriecht sie die Täler hinunter und ihr Spiel mit Licht und Schatten schafft immer neue Akzente.
Nun müssen die Bustouristen in Sandalen oder Badeschlappen umkehren, der Weg zum Pico Ruivo ist kein Sonntagsspaziergang. Heiß brennt die Sonne herunter, bald ist das T-Shirt nass vor Schweiß, denn nach dem kurzen markanten Abstieg mit seinen unregelmäßigen Stufen folgt ein gewaltiger Aufstieg. Wie Himmelsleitern ziehen sich die endlosen Stufen hinauf, klobige Steine aus den Fels gehauen, oft ausgewaschen und brüchig. In ihrer Unregelmäßigkeit verlangen sie viel Aufmerksamkeit beim Gehen, besonders wenn ein Regenguß alles glitschig hinterläßt. Seinen Augen wagt man kaum zu trauen, rechts und links neben den Treppen geht es senkrecht hinunter. Hier haben viele Pflanzen schon aufgegeben, nur mehr geborstener Stein in rötlichen Farben bedeckt das bißchen Erde. Atemberaubend ausgesetzt laufen die schmalen Pfade an den Felsen entlang, als führten sie ins Nichts. Wären da nicht die stählernen Sicherungsseile, so mancher hätte schon längst den Rückzug angetreten. Nur die urwüchsigen Erikastämme mit ihren festen Blättern und vereinzelter Besenginster bieten dieser harten Gegend aus Nebel, Regen und unerbittlichem Sonnenschein Paroli. Nach fünfzig Minuten Gehzeit folgt einer der typischen Tunnel Madeiras, die dort in den Fels geschlagen wurden, wo dem Berg wirklich kein Weg mehr abzuringen war. Drinnen im gerade mannshohen Tunnel, der den 1780 Meter hohen Pico do Gatto durchbohrt, steht das Wasser in großen Pfützen, ohne Taschenlampe nimmt man unweigerlich ein Fußbad. In steilen Stufen geht es wieder hinunter und an einem Ziegengatter konnte man früher eine Entscheidung treffen: ob links durch einen weiteren Tunnel oder rechts am Berg entlang. Heute warnt ein verwittertes Schild vor der Benutzung des Tunnels, seit einem Erdrutsch ist er verschüttet. Vielleicht wäre es der bequemere Weg gewesen, denn nun warten wieder hohe Felstreppen auf uns, vielfach sind sie durch die harsche Witterung geborsten und gestalten das Gehen mühsam. In Serpentinen geht es nach oben, mäßig interessiert und wiederkäuend beobachten halbwilde Ziegen unseren Aufstieg. Offensichtlich an die täglichen Besucher gewöhnt, rücken sie keinen Zentimeter von ihrem angestammten Platz. Beinahe unmerklich schwappen nun feine Nebel vom Tal nach oben und verwehren die Einblicke, mit einem Mal nimmt diese Gegend etwas Geisterhaftes an. Ein weiteres Ziegengatter erwartet uns und dann sind es nur noch etliche Minuten bis zur Schutzhütte unterhalb des Pico Ruivo. Allerdings läßt sich der höchste Berg Madeiras mit seinen 1862 Metern nicht blicken. „Seit einer Stunde hängt der Nebel drin“, meinte der Hüttenwirt. Nun hat uns das schlechte Wetter im Griff, beim Abstieg zur Achada do Teixeira beginnt es in Strömen zu regnen.
Dagmar Kluthe
© Fotos Udo Bernhart
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