Reisebericht


Die Route 66 – Mythos der unendlichen Freiheit


Veröffentlicht am 07.05.2005 von Dagmar Kluthe in der Kategorie Nordamerika.
Schlagworte: American Dream, Cadillac, Drive-In, Easy Rider.


Missouri Branson

Chromblitzende Chevys, schreiend bunte Neonschilder der Drive-Ins und Motels, angerostete Tanksäulen, faszinierende Sonnenuntergänge, schnurgerade Straßen, endlosen Weiten. 2448 Meilen von Chicago nach Los Angeles, vom Nordosten Amerikas an die pazifische Küste, durch acht Bundesstaaten, einfach nur den Highway entlang fahren, ein Traum unendlicher Freiheit, dorthin zu gehen, wo man will. Das ist der Mythos der Route 66. „Ich verreise nicht, um irgendwo anzukommen, ich verreise, um unterwegs zu sein“, schrieb der englische Erzähler Robert Louis Stevenson. Längst existiert diese legendäre Straße nur mehr in Bruchstücken, die kurvenreiche „Mother Road“ hat ihren Tribut an die modernen und schnelleren Interstates gezahlt. Die Route 66, das sind fünfzig Jahre Geschichte des ersten Highways der USA, der Zweidrittel der Vereinigten Staaten durchquerte und ins vermeintlich gelobte Land, ins reiche Kalifornien führte. Dort mußte der Garten Eden für Hunderte von verarmten Farmer aus Midwest gewesen sein, die Anfang der dreißiger Jahre ihre Anwesen zurückließen, weil ihnen katastrophale Dürren und die Weltwirtschaftskrise den Garaus bescherten. Sie alle hofften auf bessere Zeiten in dem schon damals dicht besiedelten Westen wie die Familie Joad, denen John Steinbeck in „Früchte des Zorns“ ein literarisches Denkmal setzte.

Route 66 Tucumcari
Die Route 66, das war die Straße der Träume und der Tränen und all jener, die von den Insassen der Autos und Trucks lebten. Wie Perlen einer endlosen Kette reihten sich Restaurants, Drive-Ins, Motels und unzähliger Tankstellen an diesem Highway aneinander. Aus zahllosen Filmen der fünfziger Jahre ist dieses Bild Amerikas vertraut: leuchtende Neonreklamen, die schreiend ihre Botschaft in die öde Landschaft werfen. Nur ein schriller Gag konnte eine autovernarrte Gesellschaft zum Bremsen veranlassen. Schon seit 1929 sind die Milkshakes bei Ted Drewes Frozen Custard außerhalb von St. Louis so dick, daß der Löffel darinstehen kann und wer in der Big Texan Ranch von Amarillo ein zwei-Kilo-Steak innerhalb von einer Stunde essen kann, bekommt es geschenkt.

R66

Dabei waren die Anfänge der Route 66 ganz nüchterne wirtschaftliche Überlegungen. Cyrus Stevens Avery aus Oklahoma gilt als Vater dieser Straße, die die großen Industriezentren in Nordosten der USA mit dem reichen Kalifornien verbinden sollte. Als Besitzer einer Tankstelle konnte er beobachten, wie viele seiner Landsleute von der Eisenbahn auf das eigene Auto umstiegen. Immer mehr Model T’s knatterten über die Schotterstraßen, die revolutionäre Idee Henry Fords einer Fließbandherstellung machte das Auto für jedermann erschwinglich. 1921 wurde der erste nationale Highway namens Lincoln eingeweiht, ab 1925 tragen die amerikanischen Straßen eine Nummer. Durch Zufall bekam der Highway von Chicago nach Los Angeles die Zahl 66, die legendäre Straße wurde am 11. November 1926 dem Verkehr übergeben.
Am Art Institute in Chicago, dem Museum für moderne Kunst, beginnt die Route 66, an der Ecke Michigan Avenue und Jackson Street. Braune Schilder mit der Aufschrift „Historic Route 66“ leiten aus dem quirligen Zentrum der Millionenstadt, die stolz darauf ist, die höchsten Gebäuden der Vereinigten Staaten zu besitzen. Und dann fährt man durch die endlosen Weiten der grünen Landschaft von Illinois, bis sich endlich die Booming Town St. Louis ankündigt. Dort, wo Mississippi und Missouri zusammenfließen, ist das Big Business zuhause, haben zahlreiche Konzerne wie Mc Donnell Douglas ihren Firmensitz. Wie ein stählerner Regenbogen ragt der Gateway Arch in den Himmel, mit seinen zweihundert Metern ist dieses „Tor zum Westen“ das höchste Denkmal der USA. Ein gigantisches Wahrzeichen, von dem finnischen Architekten Eero Saarinen entworfen und im Untergeschoß erinnert ein Museum an die Wanderung nach Westen, als wild entschlossene Siedler sich mit Gewalt den Weg über die Rocky Mountains bahnten, um an die Küste zu gelangen. Waren es damals die Planwagen, so ist in diesem Jahrhundert das Auto des Amerikaners liebstes Kind. Begonnen hat es mit den Modellen von Ford, und später waren es die Chevys, die Cadillacs, Lincoln, Plymouth, Coupe de Ville. Heute cruisen die Nostalgiker standesgemäß auf einer Harley Davidson und etliche Spaßvögel kamen auch schon mit dem Trabi vorbei. Allein die Qual der Wahl dürfte der kauzige Phil Maloof aus Albuquerque haben, über 200 Autos warten in seiner Garage, von denen er behauptet: „sie sind alle fahrbereit.“ Glänzendes Aushängeschild ist dabei ein goldener Cadillac, in dem Marilyn Monroe zu ihren Dreharbeiten gefahren ist.

Texas Cadillac

„Die Autos und die Route 66 sind Denkmäler des amerikanischen Traums“, meint Stanley Marsh. Auf seiner „Cadillac Ranch“ westlich von Amarillo ließ er zehn dieser amerikanischen Paradeautos inmitten eines Getreidefeldes eingraben. Für Stanley ist es das Stonehedge der Jetztzeit. Das Rollen der Räder ist der Inbegriff von Nordamerika.

Kansas 66

Die mehrspurigen Interstates haben der Route 66 das Genick gebrochen, 1985 wurde ihr Schicksal besiegelt. Doch ihr Mythos, entstanden in fünfziger und sechziger Jahren, erlebt einen neuen Aufwind. An vielen Orten entlang der ehemaligen Route 66 entstehen Vereine, die das Interesse an dieser Straße wachhalten. 1987 gründete Angel Delgadillo die „Historic Route 66 Association of Arizona“, um wieder Touristen in die kleine Stadt Seligman zu locken. „Wir fingen mit 25 Mitgliedern an, heute sind wir beinahe tausend“, erzählt er und sein Friseurladen ist die Schaltstelle für viele Route 66- Fans. Der Mythos lockt, ein 57er Chevy, Musik von Fats Domino und dann müssen die Räder rollen. Eine ewig junge Sehnsucht, die von Road Movies wie „Easy Rider“ oder „Thelma and Louise“ immer neu entfacht wurde oder von Songs wie „Get your kicks on Route 66“, dessen letzte Version die Rolling Stones singen. In den Restaurants, Truck-Stops und Motels, die schon in der dritten Generation geführt werden und noch immer die gleichen Gerichte auf der Karte haben, leben die Träume der fünfziger Jahre weiter. Mit dieser Renaissance der Route 66 lassen sich Menschen begeistern, die an diese einzigartige Straße glauben und vergammelte Läden neu aufmöbeln. Längst ist die Tankstelle des Route 66-Gründers Cyrus Avery verfallen, doch der Norweger Dale Bakke möchte das Blue Swallow Hotel in Tucumari/Arizona wieder in Schwung bringen: „ Als Elektriker gibt es viel Arbeit für mich, überall will ich Licht haben!“ Aus der Straße der Tränen ist ein Pilgerweg des wahren Amerikas geworden, denn nirgendwo lernt man das riesige Land besser kennen als auf diesen 2448 Meilen. Dieses Amerika der Millionenstädte und der endlosen Weiten mit ihrer gähnenden Langeweile, der gnadenlose Hitze und unwirtlichen Kälte, bis endlich der Sunshine-State Kalifornien erreicht ist. Ganz unspektakulär geht die Route 66 an der Promenade von Santa Monica zu Ende. Plötzlich ist Schluß, weiter westlich geht es nicht, die Träumer und Macher sind am Ziel ihrer Reise angekommen.

Dagmar Kluthe

Erschienen in

Wienerin

© Fotos Udo Bernhart

 

  1. Infomaterial zur Route 66 gibt bei Schotte Media Partners, USA Info Service, Postfach 4101, 40654 Meerbusch Tel 0180/5313531.
  2. Ein Chevy oder Cadillac wäre das stilvolle Auto für die Route 66, doch die meisten sich ein Wohnmobil. Sehr empfehlenswert und überall an der Route 66 gelegen, sind die KOA-Campgrounds. Kostenlos erhält man die Liste der Campgrounds bei KOA P.O. Box 30558 in Billings MT 59114.
  3. Die meisten Touristen beginnen in Chicago, das von der Lufthansa täglich angeflogen wird.
  4. Sehenswürdigkeiten:
  5. Chicago – Sears Tower
  6. St.Louis – Gateway Arch
  7. Cadillac Ranch ist 7 Meilen westlich von Amarillo, der Eintritt ist frei.
  8. Meramec Caves , diese Naturhöhlen sind ein Pflichtprogramm. Interstate 44, Exit 200, geöffnet 9-16 Uhr, im Sommer bis 19.30 Uhr. Eintritt 10$.
  9. Ted Drewes Frozen Custard in Chippewa bei St. Louis, Tel 314-481-2652.

 


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