Symphonie in weiß und blau. Unter einem makellosen Himmel zieht sich eine verschneite Bergkette entlang, die an ihren beiden Enden ins Meer eintaucht. Dieses Bild der winterlichen Pyrenäen hatte sich in mein Gedächtnis eingegraben. Nicht so gewaltig und frostig kalt wie die kanadischen Rocky Mountains, origineller als die Schweizer Alpen, und liebkost von der Sonne des Mittelmeers müsste dort lustvolles Skifahren zu finden sein. Kaum hatte das Flugzeug die legendär schöne Bucht von Marseille überquerte hatte und sich der begehrte weiße zerklüftete Bergkamm näherte. Die Nachmittagsonne wirft ihr gelbes Licht auf Schneewechten und unberührte Hänge. Grandiose Einsamkeit mitten in Europa. Wenige Minuten später beginnt der Landeanflug und in einer scharfen Rechtskurve über dem Mittelmeer landen wir auf dem Flughafen von Barcelona.
Gute drei Stunden wird die Fahrt ins Skigebiet von Val d’ Aran dauern und so packe ich eher hektisch Reisetasche und Skistiefel in den Kofferraum. Die Sonne hatte sich verzogen, ein feuchtkalter Wind zerrt an meiner Jacke und vertreibt romantische Gedanken an Faulenzen in einem Liegestuhl.
Der Geschmack auf Pyrenäen beginnt hinter der Stadt Lerida, noch etwas getrübt durch den satten Lastwagenverkehr auf der Nationalstraße, die ins französische Toulouse führt. Es ist Anfang Februar, aber ein Hauch von Frühling liegt schon auf Feldern und Weinbergen, das Thermometer zeigt neun Grad. Dann wird der Blick auf kantige Massive gelenkt, die wie Altäre über den Tälern thronen. Erinnerungen an amerikanische Canyons werden wach, besonders als gegen vier Uhr das Gestein in intensivem Gelbrot erglüht. Das Val d’Aran ist das einzige Tal in den spanischen Pyrenäen, das sich nach Frankreich öffnet und deren Geschichte sich weit mehr an die Gascogne anlehnt als an das katalonische Spanien. Nun heben sich die Berge wie schier unüberwindbare Wände empor, oftmals klebt die Straße zwischen Felsen und Abgrund, und in unzähligen Kurven schraubt man sich den Pass nach oben. Kein Wunder, dass dieses Tal im Winter sieben lange Monate gänzlich von Spanien abgeschnitten war, denn erst seit 1948 gibt es durch den Bau des Viella-Tunnels eine ganzjährige Verbindung. Es ist eine dunkle und enge Röhre geworden, doch zur kommenden Wintersaison soll der Neubau fertig sein. Dahinter öffnet sich das Val d’ Aran und unten im Tal der Garonne blinken die Lichter der Stadt Viella mit ihren achttausend Einwohnern. Hoch über dem Tal thront ein 4-Sterne-Parador, es ist die perfekte Einstimmung für einen Skitag, denn am nächsten Morgen schaue ich auf eine glitzernde Bergkette unter einen sattblauen Himmel.
Hinter Viella zwängt sich eine schmalere Straße in ein Seitental, das ins einsame Vall d’Anneu führt. Nach wenigen Kilometern, nach dem mittelalterlichen Artiès, kommt Baqueira Beret. Der teuerste Skiort Spaniens im spannendsten Skigebiet des Landes. Hier zeigen die Outfits den internationalen Chic des aktuellen Winters, sieht man die großen Geländewagen von Porsche, Mercedes und BMW. Hier türmt sich der Schnee gerne mal einen Meter hoch, wenn die Tiefs vom Atlantik zuschlagen. Aber dann kommen die reichen Spanier nicht mehr. Siebzehn Prozent weniger Buchungen meldete der letzte Januar, weil es an den Weihnachten kräftig schneite und keine Sonne scheinen wollte. Doch das Zuviel an Weiß hat Wohnblocks und Hotelkästen mit makellos schimmernden Hauben verschönt. Nun lockt Sonne und prickelnd klare Luft die Real Madrid-Kickersgattin Victoria Beckham mit Kindern aus dem graukalten Madrid, flaniert Penelope Cruz durch die verschneiten Gassen. Doch souverän beherrscht die königliche Familie die winterliche Szene in Baqueria. Unauffällig, von wenigen Sicherheitsleuten bewacht, wedeln Juan Carlos und Sophia die Pisten hinunter oder sind im Dorf zu sehen. Seit vielen Jahren besitzen sie ein Haus in Beret oberhalb von Baqueira. Dann blickt die Gesellschaftspresse Spaniens wie Gala oder Hola begierig in den kleinen Skiort und suchen ihre Titelfotos. „In diesem Jahr war König Juan Carlos noch nicht in Baqueira “, erzählt Carmeta, „nur die Infantin Cristina mit ihren Kindern haben Urlaub an Weihnachten gemacht“. Carmeta stammt von der Costa Brava und wohnt mit ihrer Familie seit dreißig Jahren in einem kleinen Dorf im Val d’Aran. „Das Leben in Baqueira ist viel zu teuer“ und so fährt sie jeden Morgen eine halbe Stunde zur Skistation. In fließendem Französisch, Spanisch, Katalanisch, Englisch und natürlich Aranés informiert sie die Gäste über die Pisten im Skigebiet. „Unsere Kinder lernen fünf Sprachen in der Schule“ erzählt sie und zuhause bei Carmeta wird Aranés, eine Mischung aus Gascogne-Französisch und Katalanisch gesprochen. Sie begleitet mich zum Sessellift, der zum Cap du Baqueira auf 2500 Metern führt.
Von dort schaut man in die Schlucht der Escornacrabes, die steile unpräparierte Piste fordert den Könner heraus und so mancher landet kopfüber in den Buckeln. Noch etwas steif, fahre ich lieber ins angrenzende Gebiet von Bonaigua. Mit jedem Kilometer wächst die Lust nach mehr, die Pisten sind sehr abwechslungsreich, doch bestens präpariert. Am frühen Nachmittag regt sich der Hunger und fahre ins Dorf hinab. Eigentlich hatte ich eine Tapas-Bar im Skigebiet vermutet, doch nur Allerweltskost mit Pommes wird serviert. In der Bar del Bosque, nur wenige Meter vom Sessellift entfernt, sitze ich bei einem Glas Rioja, Serrano-Schinken und Manchego-Käse. Mittlerweile wird der Ort von den Chicen und Schönen erobert, man trägt Pullover in Norwegermuster mit Keilhosen. Einzig die zotteligen Fellstiefel passen nicht in den Look der Sixties. Man trifft sich in der Bar des Hotels La Pleta oder wie Carmeta verraten hatte, vor dem Kaminfeuer des Hotels Eira und lässt sich von dem Sonnenuntergang verzaubern.
Mit dem Herumsitzen spüre ich meine schmerzenden Muskeln und da wäre das warme Wasser der Termas Baronie des Les geradezu ideal. In dem chicen Gebäude sind fünf Becken mit Thermalwasser in unterschiedlichen Temperaturen, daneben Saunas und Fitnessraum. Gewissenhaft erklärt Miguel, in welcher Reihenfolge welche Becken zu benutzen sind. Ich glaube meinen Augen nicht zu trauen, als dieser katalanische Beau ein gummiartiges Ungeheuer in Händen hält: „bitte die Bademütze aufsetzen!“ Dabei sehe ich mit Bademütze sehr komisch aus und schleiche peinlich berührt ins Thermalwasser. Nach zwei Stunden durchzieht eine wohltuende Müdigkeit meinen Körper und habe eine Verabredung für den morgigen Tag. Denn Miguel ist Skiguide und möchte mir das Gebiet von Vall de Boi am Nationalpark D’Aigüestortes zeigen.
Eigentlich ist das Vall de Boí für seine romanischen Kirchen wie Sant Climent und Santa Maria in Taüll bekannt, die zum Unesco-Weltkulturerbe gehören. Doch ein paar Serpentinen mehr und ich erreiche ein Hochplateau. Eine Servicestation mit Restaurant und Skiverleih. Kein Baum, kein Strauch. Gut dreitausend Meter hoch ziehen sich die Granitmassive in den Himmel, das Boí Taüll Resort besitzt die höchst gelegenen Pisten Spaniens, schon die Talstation liegt auf schon auf 2000 Metern. Dort wartet schon Miguel in schwarzem Skianzug und in wenigen Minuten sitzen wir im Sessellift. Der Schnee ist eine Wucht, ein feines pulvriges Weiß lässt das Schwingen zu einer Lust werden. Wir fahren zum Puig Falco hinauf, der 2751 Metern liegt und dort bietet sich ein überwältigendes Panorama, darunter auch der Pic Arneto, der höchste Berg in den Pyrenäen. Vier Kilometer menschenleere Piste liegen vor uns und an der Talstation bin ich völlig atemlos. Aber irgendwann ist es zwei Uhr nachmittags und endlich ein Stündchen im Liegestuhl. Miguel sitzt schon wieder im Auto, denn der Job in Termas Baronie beginnt um vier Uhr. Auf meinem Gesicht spüre ich die Kraft der südlichen Sonne und mit einer chicen Bräune nach Hause zu kommen, das verlangt schon ein Skiurlaub in Spanien.
Gut zwei Autostunden westlich vom Val D’Aran liegt das Skigebiet von Formigal. Ein eisiger Wind des Tramuntana fegt über die Berge, trotz Mütze und Daunenanorak friert man unter strahlend blauem Himmel. Vor meinem Hotelfenster knattern Fahnen an ihren Masten, die mächtige Fichte schwankt unter den Böen und ihre kitschig gelbe Lichterkette will von den Ästen zu hüpfen. Mit Unlust denke ich an den kommenden Tag auf der Skipiste, doch am nächsten Morgen steht der Baum bewegungslos in der Sonne. Einsam baumeln die Sessellifte im verführerischen Licht, dabei müsste es jeden zu den Skiern drängen. „Aber nein“, meint Conchita, „die Spanier sind keine Frühaufsteher, „vamos a desayunar“. Also frühstücken um zehn Uhr, mit Spezialitäten wie der kastilische queso de Burgos mit membrillo, der steifen Quittenmarmelade, dann katalanisches pan con tomate, das Tomatenbrot.
In der Mitte der sechziger Jahre wurde Formigal am Ende eines Pyrenäentales hochgezogen. Auf einer baumlosen Hochebene liegt dieser Ort aus der Retorte und die Hotelblöcke verbreiten wenig Atmosphäre eines heimeligen Ferienortes. Ein paar Geschäfte für Sportausrüstung, drei Bars und etliche Restaurants schmiegen sich um das Dorfzentrum.
Wir fahren nach Le Portalet, eine von drei Talstationen, um in das Skigebiet zu gelangen. Die weitläufigen Parkplätze sind nur wenige Minuten vom Servicegebäude entfernt, dort sind der Skiverleih und ein Selbstbedienungsrestaurant untergebracht. Gleich nebenan liegt der Einstieg zum Sechser-Sessellift. Mittlerweile herrscht ein lebhafter Betrieb, doch schon nach etlichen Minuten stehen wir auf den perfekt präparierten Pisten unterhalb des Anayet-Gipfels. Auf den breiten Hängen verlieren sich die Skifahrer und es bleibt viel Platz für die ausladenden Carving-Schwünge. In Spanien war Wintersport für lange Zeit eine Freizeitbeschäftigung der wohlhabenden Bevölkerung, doch mit der prosperierenden Wirtschaft des Landes verbringen immer mehr Leute ihre Wochenenden im Schnee. Dann sind die Parkplätze proppenvoll, sieht man die Kennzeichen aus Bilbao, Zaragoza und oftmals auch Madrid. Unter der Woche ist es eher ruhig, was dem ambitionierten Skifahrer nur recht sein kann, denn es bedeutet „non-stop-carven“. Gegen Mittag füllen sich langsam die Terrassen und es beginnt das Rücken der Liegestühle, um einen schönen Platz an der Sonne zu finden. Ich kann Conchita überreden, ins Dorf hinunter zu fahren und im Hotel Formigal zu essen. Ganz alleine sitzen wir im Restaurant, aber der Atlantikfisch Merluza mit ein wenig Olivenöl serviert, war die Abfahrt ins Tal allemal wert. Dazu gibt es aragonesischen Weißwein. Für den Kaffee gehen wir auf die Terrasse und genießen den Blick auf die verschneiten Pyrenäen.
Wenig später sitze ich im Auto und fahre nach Bilbao. Vorbei an Panticosa, einer der wenigen Orte, die in dieser kargen Landschaft Aragoniens überdauert haben. Ganz anders als das längst verlassene Lanuza an einem Stausee, wo einen leere Granithäuer entgegen schauen und nur das alljährliche Sommerfestival etwas Leben in die Gassen bringt. An frühen Abend erreiche ich Bilbao und an diesem Samstag befindet der baskische Vorzeigeort im Ausnahmezustand. Niemand spricht von Kunst oder Guggenheim Museum oder Architektur. Denn Athletico Bilbao hat 2:0 gegen Erzfeind Real Madrid verloren. Bilbao trauert. Im letzten Licht startet das Flugzeug und macht einen weiten Bogen über den Atlantik und dann sind wieder die Pyrenäen zu sehen. Es bleibt eine Harmonie in weiß und blau.
© Fotos und Text: Dagmar Kluthe
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