Bleischwer und dunkelgrau beinahe schwarz zeigte sich der Himmel über der Bucht von Cartagena. Dann dauerte es nur mehr Minuten und der Regen ergoss sich in wahren Fluten über die Altstadt. Hellbraune Wasserfluten füllten in Kürze die engen Straßen und in hohen Bögen sprudelte das Ungemach aus den überlasteten Gullys. Alleine durch einen beherzten Sprung aus dem Taxi hinter ein koloniales Holzportal konnte ich mich retten. Willkommen in der Welt des Ananda, eines jener komfortablen Hotels, die in den kolonialen Palästen der Altstadt von Cartagena untergeschlüpft sind. Noch immer prasselt der Regen in den Patio, trommelt auf die Blätter von Palmen und Bananenstauden, winden die Blüten der Bougainvilleas unter der Nässe. Dann, eine Stunde später, erinnern nur mehr ein paar Pfützen an den Gewittersturm. Sofort sind die Straßen wieder voller Menschen, wird Cartagena seinen Ruf als ein Hotspot der Lebensfreude gerecht.
Mit der Dämmerung dröhnen lateinamerikanische Rhythmen aus einem schlichten Gebäude, es ist das Kulturzentrum des Stadtteils Getsemani. Dort gibt Ervelyne gerade Unterricht in Zumba, eine Art südamerikanisches Aerobic. Die Musik kommt aus einem Ipod, das auf einen Verstärker geklemmt wurde. Geboren wurde Zumba in Cali, die Designhochburg in Kolumbien, und verbreitete sich wie ein Lauffeuer über die Fitnessstudios der Welt. Wahrscheinlich dürfte es aber in seiner Heimat den größten Sexappeal haben, denn keck wiegt Ervelyne die imposanten Hüften, schüttelt den Busen, hebt die Schultern. Ihre Klasse ist ein Abbild des heutigen Cartagena, denn alle Nationen lieben die Stadt. Von schokobraun bis porzellanweiß versuchen sie, den Bewegungen zu folgen. Der Schweiß fließt in Strömen, kein Wunder bei einer feuchten Hitze von 35 Grad.
Ervelyne ist eine dunkelhäutige Französin, Freigeist und Weltenbummlerin aus Überzeugung und lebt natürlich in Cartagena. Seit etlichen Jahren gehört diese Stadt am Atlantik zu den „the place to be“ und so leben hier viele Europäer und Nordamerikaner. Sie können sich das Leben in der Altstadt leisten, denn mit der Renovierung der kolonialen Häuser sind die Immobilien zu Spekulationsobjekten geworden. Ervelyne war Tauchlehrerin in den USA, in Cartagena arbeitet sie als Übersetzerin für englisch und französisch und lässt sich vom karibischen Leben verzaubern.
Wie weggewischt sind die besorgten Blicke in der Heimat: Ist Kolumbien nicht gefährlich? Jeder denkt an Kokain und noch immer klebt die Droge wie ein Schandmal an der Stirn Kolumbiens. Die Exzesse der Drogenbosse, die viel mächtiger als die Regierung waren, versetzten das ganze Land in Angst und Schrecken. Die aktuelle Regierung hat es sich zur Aufgabe gemacht, diesem Laster ein Ende zu setzen. „Mantener el Orden“ ist in ganz Kolumbien zu lesen. Mit Hilfe des Militärs wird für Ordnung gesorgt und die Kolumbianer sind glücklich darüber, denn sie können endlich im eigenen Land reisen, ohne Angst vor Entführung oder Repressalien zu haben. Tempi passati, seit wenigen Jahren sind Kolumbien und besonders Cartagena „back on the map“.
Diese Stadt zieht die Menschen an wie die Motten das Licht, denn die Atmosphäre aus karibischer Schwüle, kräftigen Farben und südamerikanischer Lebensfreude strahlt eine ungeheure Sinnlichkeit aus. Das war schon immer so. Kein Wunder bei dieser Entstehungsgeschichte, denn sie ist mit dem Namen einer schönen Frau verbunden. Der Konquistador Pedro de Heredia hatte die schöne und stolze India Catalina als Übersetzerin dabei, die man als Kind von den Calamari-Indianern geraubt und in eine spanische Schule gesteckt hatte. Noch heute strahlt ihr Denkmal jene Souveränität aus, die sich auch die Millionenstadt auf die Fahnen heftet.
Nach seiner Gründung wurde Cartagena rasch zum Mittelpunkt des Handels, denn am Hafen warteten unermessliche Reichtümer an Gold, Silber und Edelsteinen, die man den Ureinwohnern geraubt hatte, auf den Abtransport nach Spanien. Hier wurde sehr viel Geld in jener Zeit verdient und oftmals auch leichtfertig wieder ausgegeben, denn damals wie heute wollten die lauen Nächte kein Ende nehmen.
„Lass uns auf der Festungsmauer flanieren,“ meint Ervelyne, hier bekäme man das schönste Gefühl für die Stadt. Sie hat Recht, denn rund elf Kilometer Steinwall rahmen den historischen Kern von Cartagena ein. Versehen mit trutzigen Wachtürmen, denn der sagenhafte Reichtum Cartagenas lockte natürlich zahllose Piraten. Doch erst der verheerende Überfall von Sir Francis Drake 1586 im Auftrag der englischen Krone veranlasste die Spanier, ihre Stadt stark zu befestigen. Allerdings dauerten die Bauarbeiten so lange, dass sie selbst ihr perfektes Bollwerk erstürmen mussten, um die aufmüpfigen Bewohner von Cartagena in Schach zu halten.
Heute bietet die Stadtmauer einen idealen Überblick. Zu Füßen liegt das historische Zentrum San Diego mit seinen farbenfrohen Fassaden, die am Abend im gelben Licht der Straßenlaternen schimmern. In der leichten Meeresbrise rascheln die Blüten der Bougainvilleas, die in übermächtiger Pracht über die Mauern und von den Balkonen ranken. Da werden die Blicke auf das angestrahlte Castillo San Felipe de Barajas gelenkt, das östlich der Altstadt auf dem Hügel San Lazaro liegt. Es ist die größte Festung, die je von den Spaniern auf diesem Kontinent gebaut wurde und jedem Angriff Paroli geboten hatte. Noch ein Stückchen weiter hinten, auf dem bewaldeten Hügel des Cerro La Popa, sieht man das Augustinerkonvent, das der Schutzheiligen Cartagenas, La Virgen de la Candelaria gewidmet ist. Anfang des 17. Jahrhunderts gegründet, kamen später ein Gasthaus und Befestigungsanlage gegen die Jahrhunderte währende Plage der Piraten hinzu.
Daher gleichen die zahlreichen Klöster in Cartagena eher Wehrburgen als geistigen Rückzugsgebieten. Das gilt auch für den ehemaligen Konvent der Klarissinnen, dem heutigen Hotel Santa Clara.
Dort ist es ein besonderes Erlebnis, wenn am Abend die Kerzen im Kreuzgang angezündet werden und im Innenhof die gregorianischen Gesänge von Nonnen erklingen. Wir lümmeln in den Lounge-Sesseln und schlürfen Leche de Coco. „Davon kann man süchtig werden, aber es sind leider viele Kalorien,“ lacht Ervelyne und klopft sich auf die Hüften. Es fällt schwer, dieses entspannte Ambiente zu verlassen, aber Cartagena hat so viel zu bieten. Draußen, auf der kleinen Plaza, ist inzwischen ein Markt aufgebaut worden, werden Schmuck, Malereien und Krimskrams angeboten. Im Schein von Laternen spielen ältere Männer Schach, sitzen Frauen mit ihrem Strickzeug und hüten die Kinder. Das Leben im Haus wird nach draußen verlegt. Einheimische und Besucher bummeln an den Ständen vorbei, nirgendwo aufdringliche Händler, die mit Ansichtskarten wedeln und selbst jene, welche die bekannten Smaragde Kolumbiens verkaufen wollen, warten mit Geduld auf ihre Kunden. Ungewöhnlich, denn Cartagena zählt zu den schönsten Kolonialstädten Amerikas und wenn die Kreuzfahrtschiffe anlegen, werden die buckligen Gassen geradezu geflutet.
Nun geht es quer durch die Altstadt, überall sieht man Menschen, die sich von der seidenweichen Luft durch die Straßen lassen. Das ist Lebensqualität, sagt Ervelyne, die man kaum irgendwo anders findet. Ein Grund, warum so viele Menschen hier leben wollen, besonders nach der Befriedung der politischen Verhältnisse. Cartagena war nie so bedroht wie Medellin oder Cali, denn immer wachte das Militär über die Sicherheit, denn die Stadt hat sich den Nimbus des Aushängeschildes über die Jahrhunderte bewahrt.
Auch in dem ehemaligen Dominikanerkloster ist heute ein Luxushotel untergebracht und in den Seitengassen liegen die chicen Geschäften. Den aktuellen Trend bestimmt Silvia Tscherassi, die mit ihrer farbenfrohen Couture aus Seide und Baumwolle das Lebensgefühl von Cartagena interpretiert. Sie lebt allerdings in Miami, die einzige Alternative für wohlhabende Kolumbianer. Groovige Musik klingt von der Mauer herüber, sie kommt vom Café del Mar, der Treffpunkt aller Europäer. Bekannt für seine Sonnenuntergänge, dazu gibt es Essen und Musik wie zu Hause. „Lass uns zum Bazurto Social Club gehen,“ entscheidet Ervelyne, denn das Tanzen gehört zur kolumbianischen Seele.
Vorbei an der Plaza de los Coches, dem ehemaligen Sklavenmarkt, es war der größte in Südamerika, wo auch nach Mitternacht die Kutschen auf Touristen warten, Gaukler und Musikgruppen ein paar Pesos verdienen.
Durch das Stadttor Puerta del Reloj, das Tor trägt tatsächlich eine große Uhr, geht es wieder nach Getsemani und schon von weitem hört man die Rhythmen von Cumbria und Champeta. Tanzen, Tanzen bis in den frühen Morgen, intensiver kann man Cartagena nicht erleben.
Da kann Bogota nur neidisch auf die Konkurrentin blicken. Der lasziven Schönen am karibischen Meer fliegen alle Sympathien zu, während die Hauptstadt eher als das fleißige Lieschen mit dem schlechten Wetter gilt. Die Stadt liegt auf der Ostkordillere, in einem Hochtal von 2800 m Höhe und das bedeutet kühle Temperaturen, oftmals Nebel und viel Regen.
Aber hier pocht das wirtschaftliche Herz Kolumbiens und wer mitreden will, muss hier leben. Es ist ein Moloch wie alle großen Städte Südamerikas, der mit 8,5 Millionen Einwohnern zu kämpfen hat und täglich werden es mehr. Die wohlhabenden Bogotanos leben im Norden, je weiter es nach Süden geht, umso ärmer werden die Menschen. Natürlich muss mal auf der gewaltigen baumlosen Plaza Bolivar gestanden haben, hier wird das politische Schicksal des Landes entschieden. Zu Zeiten des Drogenkartells in den 1980er Jahren ließ die Regierung mit Panzern den Justizpalast rammen, denn drinnen hatten sich die Gesinnungsgenossen des berüchtigten Pablo Escobar verschanzt. Das heutige Gebäude stammt von 1999.
In diesem Jahren haben die Leute das historische Viertel von La Candelaria und oftmals die Stadt verlassen, heute kommen sie zurück und in der Altstadt zeigt sich da und dort schon neues Leben, flanieren die Besucher und bestaunen die Relikte einer Architektur aus dem frühen 20. Jahrhundert.
Zu den Musts gehören auch das Goldmuseum und das Museum von Fernando Botero, der allen Besuchern freien Eintritt gewährt. Aber um die Lebenskraft der Hauptstadt zu spüren, sollte man durch La Macarena und Chapinero flanieren. Letzteres verblüfft mit seinen Jugendstilfassaden und so manche Idee wurde aus der Bauhaus-Ära wurde hier verwirklicht. Völlig verblüfft entdeckt sogar eine Ecke mit Häusern, die an gepflegte englische Vororte erinnern. Im eleganten Chapinero Alto hat Laura vor vier Jahren ihre eigene Boutique eröffnet. „Hier arbeiten viele Designer und wir können uns gegenseitig helfen,“ erzählt sie. Erst seit Kolumbien das Kokainproblem unter Kontrolle habe, glauben die Leute an die eigenen Dinge, denn die Reichen sind zum Einkaufen ausschließlich nach Miami geflogen. Heute sind Lauras aparte Ideen von Modedesign sehr erfolgreich in der Gesellschaft Bogotas. Viele Teile kann man übereinander tragen, „denn nur wenn die Sonne scheint, ist es warm.“
Wir haben Glück mit dem Wetter und können sogar im Mini Mal im kleinen Garten essen. Diese Kombination aus Restaurant und Designerladen liegt ganz im Trend, auf der Karte stehen karibische Gerichte wie Huhn in Rosenblättern mit Maracujasauce. „In Kolumbien wächst alles, und wir wollen mit unserer Küche ein Aushängeschild für unser Land sein,“ sagt Manuel, der Besitzer. Oftmals sind es traditionelle Rezepte, die nun, auf feinere Weise zubereitet, auch die Schickeria begeistern.
Aber was ist Kolumbien ohne die Haciendas und Kaffeeplantagen? Die Provinz Quindio, eine Flugstunde westlich von Bogota ist eines der Zentren für das berühmteste Exportprodukt. Diese Region rund um den Fluss Quindio dürfte dem Paradies schon sehr nahe sein. In dem immerwährenden Frühling gedeihen subtropische aparten Helikonien und eben Kaffee und Kakao.
Nur einen Katzensprung vom Flughafen der Stadt Armenia, inmitten von Nirgendwo liegt die Hacienda Bambusa. Die Besitzer sind die Montoyas aus Medellin, eine Familie mit vielen Talenten, darunter der Formel Eins – Fahrer Juan Pablo und der Maler Santiago, dessen Bilder an den Wänden der Hacienda hängen. Nur sieben, sehr reduziert eingerichtete Zimmer gibt es in den trutzigen Gemäuern aus dem 17. Jahrhundert. Gut 300 Hektar umfasst das Anwesen und ganz wie in alten Zeiten, verzichten wir auf den Geländewagen, sondern zwei gesattelte Pferde warten. Ivan Gondrona begleitet mich, einer jener Vorzeige-Kolumbianer mit pechschwarzen Haaren und einer Hauttönung wie Caffé latte.
Soweit das Auge reicht, blickt man auf eigenes Land. Wiesen mit den eleganten Zebu-Rindern aus Indien, die in Kolumbien sehr wohl fühlen Hier werden grünen Bananen, Ingwer und vor allem Kakao angepflanzt. „Wegen der großen Konkurrenz auf dem Weltmarkt sind die Preise für Kaffee sehr gefallen und deshalb hat die Familie auf Kakao umgestellt,“ erzählt Ivan.
Er selbst kümmert sich um das Hotel, viele seiner Gäste kommen aus New York, Miami oder der Hauptstadt Bogota, denn hier kann man das elitäre Landleben genießen. Zum Zimmer gehört ein Geländewagen für die größeren Ausflüge oder man kann auf dem Gelände der Hacienda ausreiten. Vergessen der Alltag und das Stadtleben. Langsam wird es dunkel und es geht es zurück. Im Patio brennt ein offenes Feuer und eine Flasche Rotwein wird geöffnet. Auch auf dem Land beginnen nun einer dieser lauen Abende, die in Kolumbien kein Ende nehmen wollen.
Dagmar Kluthe
Fotos © Dagmar Kluthe, Hacienda Bambusa
Erschienen in der Vogue, Jan. 2013