Im frühen Morgengrauen schwebt das Flugzeug über Sao Paulo. In einem matschigen Grau scheinen sich Himmel und Häusermeer der Megapolis zu vereinen, selbst der Atlantik wirft nur ein paar müde Wellen gegen den Strand. Doch nur eine Stunde trennt dich vom Paradies und dein Herz möchte hüpfen vor Freude beim Blick aus dem Flugzeugfenster. Eine Insel, im Westen eine Stadt und rundherum nur Strände. Zweiundvierzig sollen es sein und viele so makellos weiß und unberührt. Mit der Morgensonne erstrahlt das Meer in seinem feinsten Blau. Das ist die Welt von Florianopolis, die Hauptstadt des Bundesstaates Santa Catarina im Süden Brasiliens. Sie liegt zum größten Teil auf einer Insel, und die schönste Verbindung ist die Hercilio Luz–Brücke, eine Stahlkonstruktion aus dem Jahr 1926 und das Wahrzeichen der Stadt.
Eigentlich sagen die Leute nur „Floripa“, was auch viel zärtlicher klingt, „ diese Stadt mit ihren 420 000 Einwohner ist unter brasilianischen Verhältnissen mal eher ein „Dorf“, sagt Katarina, die mich vom Flughafen abholt. Sie lebt seit etlichen Jahren in Florianopolis, stammt aber aus Blumenau, einer jener Orte in Süden Brasiliens, wo sich einstmals viele Deutsche ansiedelten und noch heute die Traditionen gepflegt werden. Aber Katarina ist Brasilianerin, spricht auch kein Deutsch, aber die preußische Disziplin scheint sich vererbt zu haben. Schon wedelt sie mit dem Programm, dabei dachte ich eher an einen launigen Kaffee und dann so langsam …
„Lass uns zum Mercado Publico gehen,“ sagt sie, dort lernt man die Menschen von Floripa am besten kennen. Besonders der späte Vormittag ist sehr lebhaft. Da steht keine schlichte Markthalle, sondern ein veritables Gebäude in aufwendiger Kolonialarchitektur aus dem Jahr 1899. Zwei imposante Türme begleiten den Eingang und drinnen, unter Arkaden sind die Stände aufgebaut und in der Mitte, ganz à la Südamerika, ein großer Patio mit Tischen der Cafés und Restaurants. Entschlossen möchte ich einen Platz ansteuern, doch Katarina hält mich zurück: „ich weiß etwas Besseres“ und wir gehen zur Box 32. Eine der jeder Botecos, die Leckereien zum Naschen anbieten wie mit Fisch gefüllte Teigtaschen oder, jede Sünde wert, die Käsebällchen Pao de Queijo. Doch neben gutem Essen ist „Box 32“ berühmt für ihre Gäste wie Ex-Präsident Lula oder den legendären Schönheitschirugen Yves Pitanguy. Doch viel wichtiger ist der selbst gebrannte Cachaca. Das ist der Zuckerrohrschnaps Brasiliens, der seine schönste Verwendung in den Caipirinhas findet. „Pur oder Caipi?“ lautet die Frage und nun hat mich Brasilien erreicht. Die erste Caipirinha vor zwölf Uhr mittags.
Sehr viel gibt es in Floripa nicht zu besichtigen, die Kathedrale sollte man gesehen haben, dann fällt der Blick auf die rosafarbene Fassade des Palacio Cruz e Sousa gegenüber, wo heute ein historisches Museum untergebracht ist. Doch der Park „Praca XV de Novembro“ unterhalb der Kathedrale ist unterhaltsam, denn dort steht ein mehr als hundert Jahre alter Feigenbaum. Die Legende sagt, dass man dieses Monster mit seinen gewaltigen Ästen sieben Mal gegen den Uhrzeigersinn umrunden soll und dabei darf man sich etwas wünschen. Was kann sich in Brasilien nur wünschen, einen jenen chicen Männer, die an den Stränden und in den Clubs zu sehen sein sollen??
Ja, die Buchten mit ihren traumhaften Stränden haben Florianopolis haben auf den Kalender des Jetsets und der Surffreaks gebracht. Schon vierhundert Jahre früher war diese Ecke wohl bekannt für diese Landschaft, aber es waren Piraten, die hier voll beladenen Kap Horn-Schiffen auflauerten. Erst Mitte des 18. Jahrhunderts, das übrige Brasilien war schon besiedelt, wurden Bauern von den Azoren animiert, im Süden des Landes eine neue Heimat aufzubauen. Dann kamen Deutsche, Italiener, Japaner und bis heute ist Santa Catarina ein Wunschziel von Einwanderern geblieben.
Der Bundesstaat lockt mit einer florierenden Wirtschaft und einem hohen Freizeitwert. Zumal sich viele Brasilianer über ihre Strände definieren. Sag mir, an welchem Strand du gehst und ich weiß, was für ein Mensch du bist.
Es geht ans nördliche Ende der Insel, zum Badeort Jurere Internacional, dem Treffpunkt des Jetsets, der oberen Zehntausend Südamerikas und vielen Amüsierlustigen. Von Dezember bis Anfang März dauert die Saison, wo eine Party die nächste jagt. Ein Ort aus der Retorte, der auch in Florida sein könnte.
Zahllose Prachtvillen säumen die Straßen, man flaniert in Porsche, Mercedes und Lamborghini. Wohin das Auge schaut, nur schöne Menschen in gebräunten wohl gestalteten Körpern. Alle Frauen tragen lange Haare, große Sonnenbrillen und Havaianas. „Wo sind deine Havaianas?“, fragt Katerina, als seien die Flip-Flops nun das Maß der Dinge. In der nächsten Minute waren wir einer Boutique, denn sie sind der unabdingbare Outfit für das Strandvergnügen, neben dem Bikini. Eine Gummisandale, abgeschaut bei den Japanern und von armen Leuten als Schuhersatz in die Welt gesetzt. Heute sind sie ein Statussymbol der chicen Leute, und die Auswahl an Farben und Design ist schier grenzenlos.
„Weiß, mit oder ohne Swarowski-Steine?“ Ich entscheide mich für die schlichte Version.
Dann kann es losgehen. In den Clubs am Strand beginnt das Tanzen und Feiern meist um 2 Uhr nachmittags. Wie im Parador 12, mit seinem Pool, zahllosen Sonnenbetten, einem Restaurant und einer Bar. Unter pausenloser DJ-Musik wandert der Champagner in Magnumflaschen herum oder man reicht sich die Sektkühler weiter. Da heißt es Kräfte sparen, denn nur unweit liegt Cafe de la Musique, der angesagteste Club auf ganz Floripa. Er gehört dem Kanadier Jeffray Jah, der als Mitbegründer des New Yorker Nachtclubs Lotus einer der Großen dieser Szene geworden ist. Darum trifft man dort Gisele Bündchen, Beyoncé oder die Schumachers. Jah ist begeistert von Floripa: „diese Landschaft, das Essen, und die gute Stimmung der Menschen, it’s a magical place.“ Er hat Recht, die „vibrations“ übertragen sich auf die deutsche Kühle und bald sitzt der Rhythmus in dem Körper, der nicht aufhören will zu tanzen. Noch ein letzter Lifestyle-Termin ist die Sushi Bar in der El Divino Lounge und es werden Sashimi zum Träumen serviert. Kein Wunder, bei soviel Meer rundherum.
Nach soviel Zeitgeist tut etwas Natur gut. Wir fahren zu den Stränden im Osten, dort wo sich der Atlantik mit voller Brandung austoben kann. Dort gibt es kaum Orte, nur einsame Sandbuchten wie Mocambique wo man endlos auf dem Pferderücken entlang galoppieren kann oder weiter südlich, Praia do Mole und Joaquina, das Mekka der Surfer.
Bei Campeche wechseln wir wieder auf die westliche Seite von Floripa und erreichen das zauberhafte Ribeirao da Ilha. Dieser Ort hat die meiste Atmosphäre auf der Insel, denn er wurde durch die ersten Einwanderer von den Azoren gegründet und sie haben ihre Architektur mitgebracht. Kleine geduckte Häuser mit blendend weißer Fassade und reizvoll ist der koloniale Hauptplatz mit der kleinen Kirche Nossa Senhora da Lapa do Ribeirao. Hier scheinen die Uhren langsamer zu ticken obwohl an vielen Wochenenden der Teufel los ist. Ribeirao da Ilha ist ein Zentrum der brasilianischen Austernzucht und das Restaurant Ostradamus ist ein schlichtes Muss für alle Liebhaber dieser Meeresfrucht. Vorsorglich hatte sich Katarina um einen Tisch bemüht, denn es ist Freitagnachmittag und für viele Floripas hat das Wochenende schon begonnen. Das Restaurant ist brechend voll und besonders begehrt ist ein Platz auf dem „Landungssteg“. Da sitzt man quasi mitten in der Lagune, näher kann man dem Meer nicht sein, Nun beginnt die Qual der Wahl, denn die Austern werden in vielen Arten zubereitet. Da gibt es Austern in Bechamelsauce mit Käse oder viel chicer mit Martini und Limettensaft. Die Kenner essen sie pur oder mit etwas Vinaigrette. Wir beide bevorzugen auch die unverfälschten Austern, nur mit etwas Zitronensaft werden sie beträufelt. Das hat auch einen Hintergedanken, denn es wartet noch eine „bewegte“ Bootsfahrt zur Ilha do Papageio. Zunächst fahren wir weiter in den Süden, nach Caieira und dort wartet das Boot.
Erst schippert man in der geschützten Lagune dahin, aber spätestens am Leuchtturm Naufragados „ die Ertrunkenen“ übernimmt das ungestüme Meer des Atlantiks die Initiative. Diese „Papageieninsel“ will erobert werden. So genannt, wie sie die Form eines Papageienkopfes besitzt, aber für die intensive Betrachtung bleibt keine Zeit, zu sehr ist man mit dem Festhalten am Bootsrand beschäftigt. Dann endlich kommt eine kleine Bucht und vor uns liegen das Ressort „Ilha do Papageio“. Da ist erst mal eine „Caipi“ nötig, um wieder Bodenhaftung zu bekommen. Nach dem Rezept von Lora, der Mutter des Inhabers Renato Sehn, auch Loricaipi genannt. Sie verwendete Bergamotte – Blätter und statt dem Zucker wird etwas Cointreau hinzugefügt. Das macht Lust auf einen zweiten …
Die Ilha do Papageio ist eine private Insel im Besitz der Familie Sehn. Der Vater von Renato hatte dieses Eiland 1971 als Ferienziel für seine Familie gekauft. Damals wurde dort Mais und Maniok angebaut. Im Laufe der Jahre wurden etliche Bungalows gebaut, denn man wollte auch Freunde einladen. Mitte der 1990ziger Jahre hat dann Renata entschieden, es als Ressort zu nutzen und heute stehen dort 20 Bungalows. Für das Abendessen steht der Hausherr am offenen Grill und legt die Fische auf den Rost. Er ist Gastgeber mit Leidenschaft und „ich liebe diese Insel und bin sehr stolz auf unseren atlantischen Regenwald.
Nachdem die Familie Sehn diese Insel erworben hatte, wurden die Felder wieder mit dem ursprünglichen Bäumen bepflanzt und heute nach vierzig Jahren sieht es aus, als wäre es nie anders gewesen. Renata hat dann Wege angelegt, um die Bäume, Sträucher und ihre Blüten kennen zu lernen. Es ist auch sein persönlicher Trimm-Dich-Pfad, denn jeden Morgen joggt er um die Insel. Der begeisterte Fotograf hat immer seine Kamera dabei und wird in Kürze ein Buch über die Vegetation auf Ilha do Papageio veröffentlichen.
Am nächsten Morgen verlassen wir die Insel Floripa und fahren in die Berge, in die Serra Catarinense. Es sind mal zwei Stunden in Richtung Westen und dann erreicht man ein Felsenplateau, das auf gut 1200 Metern Höhe liegt. Mit seinen kargen Wiesen, wenigen Bäumen, und kleinen Ortschaften könnte man auch in Schottland sein. Dazu das Wetter mit einer überraschenden Kälte, einem harschen Wind und oftmals dichtem Nebel kann man kaum glauben, nur einen Wimpernschlag von herrlichen Stränden entfernt zu sein. Die Brasilianer sprechen sogar von ihrem „Sibrien“, denn hier kann es im Winter sogar schneien. In der Nähe des Ortes Bom Jardim da Serra liegt das Eco-Resort Rio do Rastro. Als wir am frühen Abend dort ankommen, waren es mal gerade 12 Grad, doch Besitzer Ivan Cascaes hatte ganz fürsorglich schon mal den offenen Kamin in den Bungalows angeheizt. Zum Abendessen werden die Forellen aus den eigenen Teichen serviert, dazu ein paar Gläser Rotwein vom nahe gelegenen Weingut Villa Franchioni. Ivan Cascaes ist ein großer Pferdenarr und mit großem Stolz zeigt er mir seinen aktuellen Zuchthengst, der gerade auf einer Show alle Preise gewonnen hat. Leider darf ich ihn nicht reiten, doch das Ressort hat mehr als 15 Pferde für ihre Gäste und diese weite Landschaft lässt sich am schönsten auf dem Pferderücken erobern. Bekannt ist diese Gegend für ihre gewaltigen Canyons wie Ronda oder Laranjeras, doch der Nebel klebt in den Schluchten und selbst die Sonne kann diese Schleier nicht vertreiben. Doch langes Galoppieren über die weiten Wiesen entschädigt für den entgangenen Blick in die Tiefe. „Die Einheimischen kommen eher zögerlich in die Berge,“ erzählt Ivan Cascaes, „unsere Gäste sind meist Europäer oder Amerikaner.“ Für seine Ferien geht der Brasilianer ans Meer. Das machen wir jetzt auch und Katarina hat Praia do Rosa ausgesucht. Einer der Top-Strände im Süden Brasiliens, rund achtzig Kilometer von Floripa entfernt. Eine weite Bucht aus hellem Sand und mit Wucht wirft der Atlantik seine Wellen gegen den Strand. Praia do Rosa ist ein Mekka der Surfer und schon am frühen Morgen wandern die ersten mit dem Surfbrett unter dem Arm zum Strand. Dieser Brandung sind meine Surfkenntnisse nicht gewachsen und mit den Haivaianas in der Hand wandere ich durch die Bucht.
Dagmar Kluthe
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