Reisebericht


Nachtskifahren am Corvatsch


Veröffentlicht am 07.08.2013 von Dagmar Kluthe in der Kategorie Europa.
Schlagworte: Nachts, Skifahren, Wintersport.


Engadin- Corvat… Abendlicht

Bleischwer und dunkelgrau hängen die Wolken über dem Corvatsch. Nichts zu sehen von den breiten sonnenbeschienenen Flanken, die diesen Berg so berühmt gemacht haben. An diesem Freitagnachmittag schlägt das Skifahrerherz nicht höher, denn schon fallen die ersten Regentropfen und lässt den Schnee auf der Straße durch Silvaplana zu einem schmutzigen Nichts werden. Ohnehin verbreitet dieser Ort am südlichen Ende des Julierpasses wenig von der Idylle eines Ferienparadieses, denn Tag und Nacht quält sich der Schwerverkehr über die enge Hauptstraße. Besonders an der scharfen Rechtskehre müssen alle Laster herunterschalten und dort liegt das Hotel Julierpalace. Das imposante Gebäude im charmant trutzigen Stil der Graubündner Architektur muss einmal das Aushängeschild des Ortes gewesen sein, heute darf man wählen zwischen „noisy“, zur Straße und „nice“, zum Innenhof. Der Besitzer Daniel Bosshard macht keinen Hehl aus der Qualität seiner Zimmer. Ein Tausendsassa aus dem Emmental, der als Koch, Werber und Hoteldirektor arbeitet. Das Schmuddelkind Silvaplana hat ihn inspiriert und er wirft die beste Trumpfkarte des Ortes ins Spiel, den Corvatsch. Eigentlich vom feinen St.Moritz als Tummelplatz für das sportliche Klientel requiriert, gehört er doch zur Gemeinde Silvaplana.

Es war seine Idee, die Piste des Corvatsch an einem Abend von der Mittelstation Murtél auf 2700 Metern bis zum Tal zu öffnen und jeden Freitag herrscht nun eine Riesengaudi unter Flutlichtern. Gut tausend Liftkarten werden an der Abendkasse verkauft.

Engadin-Corvatsch

Um neunzehn Uhr fährt die erste Gondel nach oben. Aus den Lautsprechern hämmert Technomusik und schon zucken die Beine in den Skistiefeln. Noch ist sehr ruhig im Restaurant der Mittelstation „erst um neun Uhr geht es richtig los“ und auch auf der Piste sind nur wenige Skifahrer. Wie ein Teppich liegt die frische präparierte Abfahrt vor uns und da ist Carven eine pure Lust. Sich über die volle Breite des Hanges tragen lassen, ein Schwung nach dem andern. Etwas atemlos erreichen wir nach kurzen fünfzehn Minuten wieder das Gebäude der Seilbahn. Viele Male geht es rauf und runter, aber irgendwann lässt sich eine gewisse Müdigkeit in den Beinen nicht mehr verheimlichen. Also Einkehrschwung in das Restaurant Alpetta und kaum haben wir die Tür geöffnet, kommt uns der appetitanregend deftige Geruch von Raclette entgegen. Eine gemütlich elegante Berghütte mit viel altem Holz, und am rustikalen Theke steht die Wirtin Silvia Riz à Porta und schüttelt bedauernd den Kopf: „kein Stuhl ist mehr frei“. Draußen begnügen sich die zu spät Gekommenen mit einem Haferl Kaffee unter Wärmelampen. Ein Dutzend Schwünge weiter unten, in eine Ecke der Piste gequetscht, liegt die Hossa-Bar. Drinnen wie draußen dröhnt die Disco-Musik und überall wird schon heftig in Skistiefeln getanzt. Gegen elf Uhr ist die Hossa Bar brechend voll, ein Platz am Tresen muss erkämpft werden. „Trinken wir ein Swizley?“ fragt Cilgia. Das ist Swiss Cider und bedeutet Apfelwein mit Holunderblütensirup: „seit zwei Jahren der absolute Hit.“ Da lassen sich die Engadiner Nächte locker durchstehen, während die Caipirinhas oder der Hossa Cafe, wo sich unter der Sahne viel Schnaps versteckt, sehr schnell an der Kondition nagen. Hinter unserem Rücken steppt der Bär, denn Manuel, der schwarzlockige DJ aus Südamerika, bringt die Körper zum Dampfen. Längst ist der Unterziehpulli viel zu warm und die Skistiefel zu lästig, es wird nun in den Socken getanzt.

An einem Tisch sitzen Kitesurfer, sie sind wegen der guten Stimmung auf den Corvatsch gekommen, denn das Skifahren auf normalen Pisten ist ihnen längst zu langweilig geworden. Sie lieben das Spiel mit dem Wind und ihren Drachen, auch wenn man dabei gelegentlich heftig auf das Kreuz fällt. Besonders der See von Silvaplana mit seinen Engadiner Fallwinden ist ein ideales Refugium für die Wagemutigen, hier treffen sich die Besten der Welt. Dieser Trendsport passt so recht ins Konzept des Sich-Abgrenzen-Wollen von St. Moritz mit seinen Pelzmänteln und Polopferden.

Engadin-Silvaplana-Kite-WM

Gegen ein Uhr morgens fahren wir hinunter ins Tal und unten am Auto fragt mich ein Italiener, ob er meine Liftkarte haben könnte. „Ich will noch in die Hossa Bar.“ Eine gute Stunde bleibt ihm noch. Gegen halb drei Uhr wird die Flutlichtanlage ausgeschaltet und dann hilft nur noch der Mond.

Wir packen die Ski ins Auto und fahren nach Silvaplana, in die Bar Püf. Am Freitag ist dort Latino-Abend und die Inhaberin Susi Reich kommt uns hüftschwingend im Salsa-Takt entgegen. Und endlich tanzen in normalen Schuhen. Um vier Uhr morgens verlöschen die Lichter im Püf. Das heißt Eule auf romanisch, „aber diesen Vögeln ist es nachts viel zu kalt im Engadin,“ sagt Cilgia. Also können nur die zweibeinigen Nachteulen gemeint sein. An diesem Freitag gehörten wir dazu.

Dagmar Kluthe

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© Fotos: Dagmar Kluthe

  1. jeden Freitag von 19 – 2 Uhr morgens ist die Corvatsch-Abfahrt bis zur Mittelstation geöffnet.
  2. www.silvaplana.ch Infotel:081/ 8387373
  3. Restaurant Alpetta Tel 081/8288630
  4. Hotel Julierpalace www.julierpalace.com
  5. Bar Püf, Silvaplana Tel 081 8289688

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