Das Wasser perlt noch von seinen gebräunten Schultern, lässig schüttelt er seine nassen blonden Locken und blickt zufrieden über den Pazifik. „Heute hat das Meer sein aufregendes Gesicht gezeigt“, meint Fernando und lehnt sein Surfbrett an eine Palme. Schon seit Tagen hatte er den Wetterbericht im Internet verfolgt, viele e-mails an seine Freunde geschickt, die alle nur auf die Mega-Wellen hoffen.
Im Morgengrauen sind sie an den Strand von Cabo blanco gefahren, berühmt für seine Wogen, die oftmals eine Höhe von zehn Metern erreichen können. Stunde über Stunde haben sie jede Welle ausgekostet. „ Das Surfen ist ein Tanz mit der Macht des Wassers“, meint Fernando, dieses Reiten auf den Wellenkämmen, dann Hinuntersausen ins Wellental, um erneut auf eine sich brechende Welle zu gelangen. In raschen neunzig-Grad-Drehungen schlängeln sich die Könner entlang.
Nicht als gefährliche Brecher rollen sie heran, die alles unter sich erdrücken wollen, sondern sie türmen sich langsam auf, zeigen ihr azurblaues Innenleben, wollen den Surfer umarmen und kippen im Sekundentakt ab. Meter um Meter klatschen sie auf den Strand, als würde ein Dirigentenstab den Takt angeben. Ein Traum für wenige Wimpernschläge. Aber den Freaks raubt es den Verstand. Wenn sich das Wasser quasi um sie schlingt und das Surfbrett in rascher Fahrt durch diese Röhre schießt, ist ihr Glück vollkommen. Fernando ist so einer und häufig gelingt ihm noch ein genialer Abgang, ein souveränes Gleiten an den Strand und nicht nur ein bloßes Versinken im Wellenchaos. Mancora ist das Mekka der Hardcore-Surfer. Mehr als 2500 Kilometer Küste gehören zu Peru und ganz im Norden des Landes, schon im Dunstkreis von Ecuador, bieten Wellen und Wind ein Weltklasseterrain für den Tanz mit dem Brett.
Weil hier der kalte Humboldtstrom aus dem Südpazifik auf den warmen El Nino aus dem Norden trifft. An jedem Tag, zu jeder Stunde erzeugt diese Konfrontation Wellen und immer sehen diese Wasserberge elegant aus.
5000 Menschen leben in Mancora hier und die Anbindung an die Welt heißt Panamericana. Seit die Beziehungen zu Ecuador wieder besser geworden sind, geht es mit dem Handel aufwärts, rollen Laster und Busse über diese einzige große Straße in dieser Ecke Perus. Hier scheint das ganze Jahr die Sonne, aber der Äquator ist noch weit genug entfernt, um stickige Hitze und Moskitos an diese Strände zu schicken.
Der Pazifik schickt eine beständige Brise, die aus den Wintermonaten zu einem kräftigen Sturm werden kann, aber Anfang Februar ist es paradiesisch sommerlich. Endlich mal wieder feucht-frische Luft nach all den staubigen Gräbern in der Wüste. Denn diese Ecke Perus liegt in einem archäologischen Highlight Südamerikas. Eine knapp Flugstunde entfernt, in der Nähe von Chiclayo, wurde Ende 1980 das Grab des „Herrn von Sipan“ entdeckt. Die Presse sprach vom „größten archäologischen Fund des 20. Jahrhunderts“ und es war eines der ganz wenigen Grabstätten, die nicht von Räubern entdeckt und geplündert wurden. Heute werden die Schätze, goldene Brustplatten, Kolliers, Armreifen und Muschelketten im Museum „Las Tumbas Reales de Sipan“ gezeigt, das einen einzigartigen Einblick in die Kultur der Moche gibt. Die eigentliche Ausgrabungsstätte liegt in dem nahen Tucume, ein riesiges Areal mit zahllosen hellbraunen Pyramiden in einer hellbraunen Wüste. Die ganze Landschaft scheint Staub und Trockenheit zu atmen, schon am Morgen brennt die Sonne unerbittlich und außer den Johannisbrotbäumen kann hier nichts wachsen. Auf einem blattlosen Ast sitzt eine kleine Eule und schaut uns interessiert aus ihrem weißen Federgesicht an. „Sie ist ein heiliges Tier in der Moche-Kultur“, sagt die Führerin, genauso wie die Nackthunde, die heute auf vielen Ausgrabungsstätten Perus zu finden sind. Ganz erfreut wedeln sie mit dem Schwanz als endlich Besucher zum Museum von Sican in Ferreñafe kommen. Hier wird die Kultur der Chimu ausgestellt, die die Nachfolge der Moche angetreten hatten. Durch diese sensationellen Funde auf engem Raum entwickelt sich langsam ein internationaler Tourismus, der lange Zeit nur dem Süden mit Cusco und Titicaca-See vorbehalten war.
Doch nach den graubraunen Eindrücken ist der Pazifik ein Geschenk des Himmels.
und Mancora genießt nun Trendstatus, denn die aktuelle Weltmeisterin im Surfen kommt aus Peru. Die zwanzigjährige Sofia Mulanovich lebt zwar in Lima, aber seit Kindesbeinen trainiert sie in Mancora. Nun blicken die Expertenaugen etwas genauer in den Norden Perus, aber das Fischerdorf ist noch immer ein unaufgeregter Ferienort. Bars und Restaurants, darunter zwei mit Spitzenküche, Internetcafés, Kunstgewerbelädchen, Surfläden und einem Angebot an Hospedajes, einfachen Unterkünften. Die chiceren Hotels liegen direkt am Strand wie das Del Wawa von Fernando. Es ist ein Treffpunkt der ambitionierten Surfer Perus und oft steht einer auf der Terrasse, die auf großen Pfeilern steht, und wie ein Schiffsausguck den großen Rundblick für den Pazifik erlaubt. Dieses Meer verlangt Kraft und Kondition, um immer wieder nach draußen zu paddeln, sich auf das wackelige Brett zu stellen und dann für wenige Minuten die Balance zu halten. So ist Mancora kein Strand wie viele andere Strände. Da hängt kein wabbelndes Fett über der Badehose oder klemmt sich in den Bikini. Elegant gebräunte Modellfiguren, die in jedes Fitness-Magazin passen würden.
Hier ist Fernando ist aufgewachsen und möchte auch heute nirgendwo anders leben. Er wurde in Brasilien geboren, doch schon sein Vater war ein begeisterter Surfer und brachte seine Familie in den Norden Perus, weil es hier die schönsten Wellen Südamerikas gibt. Diese Ecke hat sich den liebenswürdig lässigen Charme der Latinos bewahrt. Hier findet kein Kampf um die Welle statt wie in Hawaii, wo die Gefahr von einem Mitstreiter angefahren zu werden, viel höher ist als der Katapult von der Welle in den Abgrund. Es ist früher Nachmittag und die Hitze treibt jeden in den Schatten. Kaum ein Mensch ist am Strand zu sehen und selbst das Meer wirft nur unbedeutende Wellen auf den Sand. Dafür sind in seinem Restaurant alle Tische besetzt, denn ein Blick in die Speisekarte lässt den Mund wässerig werden.
Ein Carpaccio von Thunfisch, vor der Küste gefangen oder für den großen Hunger das Tsunami Steak, rosa gegrillter Thunfisch in Sesam und Sojasauce. Fernando bestellt sich ein Ceviche, das peruanische Nationalgericht aus rohem Fisch, mariniert mit Zitrone, Knoblauch. Pfefferschote, dazu eine Süßkartoffel und etwas Mais. Nach dem Essen kommt eine genüssliche Siesta, das heißt dösen auf einer Liege, und von irgendwo her klingt das Quieken eines Computerspiels.
Erst mit der schwächer werdenden Sonne zeigt das Meer neue Kraft. Und dann kommt Bewegung in die träge Szene, plötzlich sind alle Liegestühle verlassen. Eilig werden die Wetsuits über den Körper gezogen, denn das Wasser des Pazifiks ist trotz der sommerlichen Hitze keinesfalls warm. wird. Im Laufschritt stürzen sie zum Wasser, das Brett unter dem Arm. Schnell angeschnallt und mit mächtigen Kraulbewegungen geht es in Richtung nassem Vergnügen.
Etwas unentschlossen steht Fernando am Strand. Eigentlich ist er noch müde von dem morgendlichen Trip, da klingelt sein Handy. Ein Freund möchte ihn überreden, nach Organos zu kommen. Ein Strand, der rund zehn Kilometer südlich von Mancora liegt und für seine kraftvollen Wellen bekannt ist. Fernando lässt sich bitten, aber schließlich kann er nicht widerstehen. Also morgen wieder um fünf Uhr aufstehen, aber „diese Wellen muss ich nutzen“. Bald sei die Saison vorbei und dann heißt es auf die Wintermonate und die kräftigen Winde warten. Dann ist es Zeit für das Kitesurfen, das Tanz mit dem Wind und dem Drachen. Während Fernando redet, ist die Sonne untergegangen, ist ihr roter Ball ins Meer geplumpst. Die Natur hat ihr Licht ausgeknipst und die Surfer müssen aus dem Wasser. Gut zehn Stunden hat das Meer nun seine Ruhe vor ihnen.
Dagmar Kluthe
© Fotos: Dagmar Kluthe
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