Der italienische Wintersportort Cortina d’Ampezzo steht in einer Reihe mit dem schweizerischen St.Moritz, dem französischen Chamonix, Madonna di Campiglio in der Brenta-Gruppe und dem österreichischen Lech am Arlberg.
Alle diese Orte haben etwas Gemeinsames neben traumhaften Skipisten: sie sind Treffpunkte der Gesellschaft. So tummeln sich in Cortina d’Ampezzo die toskanische Weinbarone, die norditalienischen Industriellen aus der Lombardei und Venetien, die Römer mit den wohlklingenden Namen aus altem Adel.
Knapp 7000 Einwohner zählt der Ort, aber rund um Weihnachten quillt er über. Da gibt es Gedrängel auf dem Corso d’Italia mit seinen 250 Geschäften, wo jeder Name vertreten ist, der eine Bedeutung in der Welt des Trends besitzt. Nicht wenige Galeristen verlassen ihre Stammsitze in Mailand und Rom, um ihre Geschäfte nach Cortina d’Ampezzo zu verlagern. Es sind nur wenige Wochen, wo das Dorf in den Gesellschaftsspalten der Zeitungen und Magazine gerät, und ganz Italien gespannt nach Cortina d’Ampezzo blickt. Dabei feiern die angesehenen Familien eher diskret in ihren großen Ferienvillen, die Fotos der Schönen und Reichen werden meist beim „aperitivo“ gemacht, wo man sich nach dem Einkaufen trifft. Wie in der Enoteca von Gaspari G, wo sich am frühen Abend so viele Menschen hineindrängen, dass die Türe kaum mehr zu schließen ist.
Nicht weniger turbulent ist es in der stilvollen Atmosphäre der „Bar de la Posta“ im traditionsreichen Hotel de la Poste. Das älteste Hotel in Cortina wurde 1835 gegründet und wird seit Generationen von der Familie Managoì geführt. Da lässt sich viel Geschichte des Ampezzaner Tales erleben, denn die beliebte Bar de la Poste war im 19.Jahrhundert das Postbüro für die Briefe und Pakete zwischen Lienz und Toblach.
Heute trifft sich die Prominenz von Cortina zum Kaffee am Morgen und zum Aperitif am Nachmittag. Besonders begehrt ist ein Platz an der Theke während der Wettbewerbe des Winter Polo, das meist Mitte Februar stattfindet. Diese Veranstaltung wurde von Renato Managoi in den 1980ziger Jahren ins Leben gerufen und wird im Winter auf dem zugefrorenen Lago Misurina ausgetragen, eine Parallele zum schweizerischen St.Moritz.
Wie alle die traditionsreichen Ferienorte in den Bergen, liegt auch Cortina d’Ampezzo atemberaubend schön in einem Hochtal, eingerahmt von der spektakulären Kulisse von Tofana, Cristallo und Sorapis.
Schon lange vor den olympischen Winterspielen, die 1956 hier stattfanden, war Cortina d’Ampezzo ein beliebter Ferienort. Damals trug es noch den ladinischen Namen Anpezo und gehörte zum Imperium von Österreich-Ungarn. Am Ende des 19.Jahrhunderts kamen viele Bergbegeisterte, der Adel aus dem Habsburger Reich und wohlhabende Leute aus Frankreich und England zur Sommerfrische. Der Ort wurde als die „Perle der Dolomiten“ bezeichnet. Man baute Luxushotels und 1903 entstand die erste Skischule. Doch mit dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger war alles vorbei, im Ersten Weltkrieg gehörte diese Region zum Frontgebiet. Dort standen sich die Soldaten von Österreich- Ungarn und Italien gegenüber, und es sind mehr Menschen durch Lawinen und Erfrierungen ums Leben gekommen als durch Gewehrkugeln. Nach dem Waffenstillstand von 1918 wollte die Bevölkerung bei Österreich bleiben, doch mit dem Vertrag von Saint-Germain 1920 wurde dieses Gebiet zusammen mit Südtirol den Italienern zugesprochen.
Noch heute kann man an vielen Orten wie am Falzarego-Pass oder bei Sexten die Kriegsstellungen und Felsenstollen besichtigen.
Mit der Politik der Italisierung wurde aus dem einstigen Anpeza das italienische Cortina d’Ampezzo. Noch einmal, nach dem Zweiten Weltkrieg gab es einen Versuch, wieder ein Teil von Österreich zu werden. Wieder machten die Großmächte einen Strich durch die Rechnung. Heute zählt der Ort zur Provinz Venetien, dabei würden viele Bewohner liebend gerne zu Südtirol mit seinem Autonomiestatus gehören.
Auch das heutige Cortina begann seine Karriere eines Urlaubsortes als Sommerfrische, die ersten Touristen wollten die gute Luft und das Panorama genießen. Man blieb mindestens vier Wochen, denn die Anreise war höchst beschwerlich. Es wurden kleine Wanderungen unternommen und spätestens um fünf Uhr traf man sich zum „afternoon tea“. Mit der Begeisterung an den Bergen kamen auch die ersten Alpinisten, meist Engländer, die mit einheimischen Bergführern die Gipfel erstürmten. Die mächtigen Klötze rund um Cortina d’Ampezzo wie die Tofane und die Cristallo-Gruppe wurden allerdings von dem Wiener Bergsteiger Paul Grohmann in der Mitte des 19. Jahrhunderts zum ersten Mal bezwungen. Mit dem wachsenden Interesse am Skifahren rückte die Sommerfrische in den Hintergrund, nun vergnügte man sich im Schnee und bei Eiseskälte. Die Anreise war nun noch beschwerlicher, aber man hatte schließlich oftmals einen Monat Zeit, um sich von den Strapazen zu erholen.
Heute ist Cortina ein klingender Name als Wintersportort und bietet alles, was sich der Gast im 21.Jahrhundert wünscht. Darunter gut 120 Kilometer präparierte Pisten, die oftmals mit der Hilfe von Schneekanonen gut präpariert sind. Alleine der Blick auf die Berghänge, es gilt das schönste Panorama der Alpen, lassen das Herz eines jeden Bergsteigers höher schlagen. Auf den steilen Flanken der Tofana wurde 1956 die Olympiade ausgetragen und es war der Beginn der legendären Karriere des Toni Sailer aus Kitzbühel.
Gegenüber liegen die Hänge der Cristallo-Gruppe, und der Seilbahn führt zum Faloria auf 2120 Metern. Im Jahr 1939 wurde hier die erste Bahn gebaut, der „Principe di Piemonte“ galt als große technische Leistung. Heute warten dreißig Kilometer präparierte Piste, doch eigentlich sollte man erst mal ins Rifugio Faloria einkehren, um bei einem Capuccino die Bergwelt zu genießen. Übrigens, wer sich gar nicht trennen kann von diesem Ort, die Berghütte bietet auch 35 Betten. Auch die Bergstation des Sesselliftes Vitelli verführt zu einer Rast, im Rifugio Tondi, stellt Rosy feinste Ampezzaner Spezialitäten von Schinken und Käse auf den Tisch. Im Vergleich zum Hauptlift des Faloria geht es hier viel ruhiger und gemütlicher zu.
Doch da gibt es nicht wenige Brettlfreaks, die können über die Pistenfahrer nur lächeln. Für sie sind die Skitouren im Mittelpunkt, zu zweit durch eine einsame hoch verschneite Landschaft zu spuren, ist der absolute Höhepunkt eines Ferientages. Ganz hoch im Kurs steht die Cristallo – Scharte auf 2808 Metern. Dieser Felseinschnitt liegt zwischen Monte Cristallo und Piz Popena, die Tour dauert gute dreieinhalb Stunden und ist nur trainierten Tourengehern zu empfehlen. Es ist ein wahres Schmankerl in den Monaten Februar bis März, denn in der Rinne muss noch genügend Schnee liegen. Allerdings verlangt die Überwindung eines Felsriegels innerhalb der vierzig Grad steilen Rinne schon ein gutes Selbstbewusstsein. Oftmals vereist, muss man sich zu Fuß darüberhangeln, Dann aber wartet die pure Lust, denn meist liegt dort feinster Pulverschnee und gute siebenhundert Meter unbeschwertes Schwingen in einem weitläufigen Kar. Danach ist der Teller mit Pasta mehr als verdient und ein schöner Skitag gehört zur Erinnerung.
Wer Nervenkitzel sucht und nicht so lange auf Fellen laufen möchte, fährt mit einem uralten Lift hinauf zur Forcella Staunies auf 2300 Metern. Oftmals ist das Kar geschlossen wegen zu hohen Windes, zuviel Schnee und in manchen Wintern auch zu wenig Schnee. Aber es ist ein unbeschreibliches Erlebnis für den sicheren Skifahrer, zwischen imposanten Felswänden hinunter zu schwingen, besonders wenn es noch wenig verspurt ist. Dann hinein ins Rifugio Son Forca und in aller Ruhe einen Kaffee genießen. Alles was nun an Piste wartet, kann quasi „auf einem Bein“ abgefahren werden.
Bei aller Leidenschaft für den Skisport, ein paar Kräfte sollten noch für den Abend übrig bleiben. Cortina d’ Ampezzo gehört keinesfalls zu den Orten, wo man früh ins Bett gehen sollte. Dafür ist der Besuch eines Restaurants oder das Nachtleben viel zu interessant. Nicht wenige Urlauber verzichten gar völlig auf das anstrengende Skifahren, um sich ausgeruht in das Shopping und den „Apres-Ski“ stürzen zu können. Der Corso Italia, der „Catwalk“ Cortinas ist eine Verführung pur, denn selbst der verwöhnte Geschmack kann in der Hauptsaison mühelos zufrieden gestellt werden. Manche sagen, man bräuchte gar nicht mehr nach Rom oder Mailand zu fahren, hier in Cortina gäbe es alles.
Auch alleine das Schauen und „vedere e far vedere“ in den frühen Abendstunden ist ein Erlebnis. Was es doch für chice Leute gibt. Da werden die Pelzmäntel ausgeführt, dazu die neueste Sonnenbrille, auf die selbst in der nahenden Dämmerung nicht verzichtet wird und natürlich das „it-bag, das aktuelle Handtaschenmodell der Saison.
Doch mit Ende Februar ist der Rummel vorbei, vielleicht nur ein kurzes Beben um Ostern, wenn der Schnee noch schön ist, ansonsten sinkt Cortina d’Ampezzo wieder in die gemächliche Gangart eines kleinen Bergdorfes. Die Mode ist verkauft oder geht zurück in die Boutiquen von Mailand und Rom, auch die Galeristen und Juweliere haben ihre Räume verlassen und verdienen wieder ihr Geld in den Zentren Italiens. Bis es dann wieder Weihnachten und alle strömen nach Cortina.
Dagmar Kluthe
© Fotos: Dagmar Kluthe
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