Einfach eine Klasse für sich, dieses Vancouver. Böse Zungen behaupten zwar, es würde dort immer regnen, aber es ist jene Stadt, wo jeder Kanadier am liebsten wohnen würde. Auch die Einwanderer zieht es hierher und so ist die Metropole am Pazifik für viele Deutsche, Engländer, Skandinaviern und vor allem Asiaten zum neuen Glück geworden. Aber diese Stadt muss man sich leisten können, denn Vancouver ist das teuerste Pflaster Kanadas. Gerade dieses Image macht die „Vancouverites“ besonders stolz.
Kaum mehr als hundert Jahre ist sie alt, und erlebte mit der Ankunft der Canadien Pacific Railway 1887 ihre eigentliche Geburtsstunde. Seitdem ging es mit dem ehemaligen Holzfällercamp immer nur aufwärts. Nun wohnen beinahe zwei Millionen Menschen im Dunstkreis von Vancouver, alle geprägt vom Optimismus und der Vision einer Welt, in der es sich besser leben lässt. Kein Wunder, daß hier die Umweltorganisation Greenpeace gegründet wurde, bei dieser einmaligen Schönheit der Landschaft. Besonders hier wird einem die Zerstörung der Natur noch schmerzhafter bewußt, bei den unzähligen verwunschenen Tälern, den Berge mit ihren verschneiten Gipfeln, den smaragdgrünen Seen und dem unendlichen Blau des Pazifiks.
In Vancouver sollte man am Wasser beginnen, am chicen Hafengelände des Canada Place. Dort liegen die riesigen weißen Kreuzfahrtschiffe und warten auf die Reise in den Norden, an die Küste von Alaska, oder haben gerade das Kap Horn an der Spitze Südamerikas umrundet. Von dem chicen Gebäude mit seiner eigenwilligen Dachkonstruktion, die wohl geblähten Segeln ähneln, ist es nur mehr ein Katzensprung nach Downtown.
Für den schönsten Blick über die Stadt fahren wir den Harbour Centre Tower hinauf und schauen über Hochhäuser, Straßenschluchten, die grüne Lunge des Stanley Parks und die Bergkette der Coast Mountains. Auch der Shopping-Freak wäre gleich am richtigen Platz, denn in der „Lower Mall“ des Harbour Centre gibt es den größten Feinkostladen Nordamerikas. Doch wir möchten ein wenig in die junge Geschichte Vancouvers eintauchen, in den ältesten Stadtteil von Gastown, der gleich nebenan liegt. Hier hatte „Gassy Jack“ 1867 den ersten Saloon eröffnet, aber von den wilden Zeiten ist nichts mehr zu spüren. Einzig das Pfeifen der dampfgetriebenen „Steam Clock“, die alle fünfzehn Minuten jeden Verkehrslärm übertönt, weckt noch nostalgische Gefühle.
Heute wird das Viertel von charmanten Fassaden im viktorianischen Stil geprägt, hinter denen Restaurants und originelle Läden zu finden sind. Wir gehen zurück in die Geschäftigkeit von downtown, und das Zentrum lockt zum Flanieren. Sich treiben lassen von der Großzügigkeit der Stadt, wo es keine engen verwinkelten Gassen gibt, sondern nur breite Boulevards. Wie Hastings Street oder die quirlig elegante Robson Street mit ihren Modeläden, trendigen Cafés und unzähligen Lokalen. Irgendwann gelangen wir ins West End, der feinen Wohngegend von Vancouver. Besonders chic lebt es sich an der Englisch Bay Beach und die Appartements in unmittelbarer Nähe zum Strand sind die teuersten im ganzen Land. Ist ja auch eine Traumlage, die nicht nur den Pazifik bietet, sondern auch den 405 ha großen Stanley Park als riesiges Freizeitvergnügen.Dort stehen die Wahrzeichen des westlichen Kanadas, die sehr bekannten, bunt bemalten Totempfähle. Früher standen diese mythischen Figuren in jedem Indianerdorf und erzählten die Geschichte des Stammes, heute sind sie ein beliebtes Fotomotiv.
Wer nach Kanada reist, hat immer grandiose Landschaften vor Augen. Unzählige Seen und hunderte von Berggipfeln, darunter die legendären Rocky Mountains haben das Image dieses Landes geprägt. Und da ist noch jene Sehnsucht nach dem Pioniergeist, die die Menschen vor 150 Jahren vom Osten nach Westen getrieben hat. Noch heute läßt sich dieses intensive Gefühl von Weite erleben und das sind endlose Kilometer auf dem Highway.
Am besten auf der Nummer Eins, dem Trans Kanada Highway, der von Victoria auf der Vancouver Island bis nach St.John’s auf Neufundland reicht. Dort liegt auch ein Meilenstein kanadischer Geschichte, nämlich kurz vor Revelstoke, bei Craigellachie. Hier wurde 1885 der letzte Nagel in die Eisenbahnschiene der Pacific Railway geschlagen und endlich war die erste Verbindung zu Küste zu Küste hergestellt. Das Riesenland konnte zu einer Nation werden. Erst viel später, im Jahr 1962 wurde die Straße des Trans Kanada fertig gestellt und verläuft oftmals parallel zum Schienenstrang.
Wie bei vielen Orten lagen die Ursprünge von Revelstoke in einem Eisenbahner- und Holzfällercamp. Nun ist das 8000 Einwohner große Städtchen ein perfekter Ausgangspunkt für Ausflüge in die „great outdoors“ der Selkirk und Monashee Mountains. Im Winter sind die tief verschneiten und unberührten Hänge dieser Berge ein traumhaftes Terrain für Helikopter-Skifahren und ganz unbescheiden nennt sich Revelstoke die „Heli-Skiing Capital“. In den warmen Monaten treffen sich Sportangler an den fischreichen Seen, die Wildwasserkanuten an den ungezähmten Flüssen und für die Wanderer gibt es eine nahezu unbegrenzte Routenauswahl. Auf seinem Weg in den Osten führt der Trans Kanada Highway an namhaften Nationalparks vorbei, die sich wie Perlen einer Kette aneinanderreihen.
Auf den Hinweisschildern stehen Namen des Glacier, Kootenay und Yoho Nationalparks. Ihre Berge gehören zu den legendären Rocky Mountains, die sich als eine urgewaltige Felsmasse von Alaska bis hinunter nach Feuerland entlang ziehen. Von dieser Kulisse lebt Banff, der wohl bekannteste Ferienort Kanadas. Wer kennt nicht die Fotos des tiefblauen Lake Louise oder vom imposanten Gebäude des Banff Springs Hotels? Ohne die Eisenbahn wäre die Karriere dieser Urlaubsregion nicht möglich gewesen. Erst die Schiene brachte die Menschen nach Banff und der 1885 gegründete Banff Nationalpark ist das älteste Naturreservoir Kanadas. Beinahe 7000 Quadratkilometer nur Wäldern, Seen und Berge. Eine Symphonie aus grün und blau und im Winter nur weiß, soweit das Auge reicht.
Nur mehr ein Katzensprung ist es nach Calgary. Von Vancouver stark beäugt, ist aus dem einstigen Posten der North West Mounted Police die am schnellsten wachsende Stadt Kanadas geworden. Den ersten Schub brachte die Eisenbahn, aber das richtige Geld kam mit dem Öl. Aus der „Cow-Town“ wegen des vielen Weidelandes wurde die „Oil-City“ des Landes. Die Rinderzüchter investierten ihr Geld in sprudelnde Ölquellen und machten die Stadt sehr reich. Da konnten 1988 die olympischen Winterspiele bezahlt werden, werden zahllose hochkarätige Sportveranstaltungen finanziert, gehört das einheimische Eishockeyteam der „Calgary Flames“ zu den besten Mannschaften Nordamerikas.
Doch die Vergangenheit der Rinder und Pferde ist nicht vergessen, denn in jedem Juni findet die „Calgary Stampede“ statt, das größte Rodeo der Welt. Aber nichts gegen die Faszination des hohen Nordens. Dort wo die Sommernächte taghell sind und im Hochwinter wochenlang Dunkelheit herrscht. Wie im Yukon Territory und in den Northwest Territories. Zwei Provinzen, die vielleicht sechsmal so groß wie Deutschland sind und wo man die wenigen Menschen suchen muß. Der Traum gänzlich unberührter Natur, glasklarer Flüsse und Seen kann gelebt werden. Die Hauptstadt Whitehorse des Yukon Territory hat mal gerade 23 000 Einwohnern und ist der Mittelpunkt für alle, die in den riesigen Weiten leben. In den Norden sind bis zur nächst größeren Stadt Dawson City gute sechs Stunden auf dem Klondike Highway. Benannt nach dem Klondike Fluss, wo viele armselige Gestalten während des Goldrausches ihr Glück in den Nuggets suchten. Damals wurde aus dem tristen Nest Dawson City das „Paris des Nordens“, so lebten dort um 1898 rund 40 000 Menschen. In seinen Bordellen, Theatern und Spielsalons war jeden Abend die Hölle los. denn jeder Glückliche wollte seine Dollars rollen sehen. Nur zwei Jahre dauerte diese verrückte Zeit und dann versank Dawson wieder in die Bedeutungslosigkeit. Heute wird die Geschichte zu Geld gemacht und im Sommer strömen die Touristen zu Tausenden hinter die polierten Fassaden, die die einstige Blütezeit aufleben lassen. In Diamond Tooth Gertie’s Gambling Hall wird nun wieder Can-Can getanzt und die Besucher verzocken ihr Geld in den einarmigen Banditen oder am Roulette-Tisch.
Doch vor der Tür wartet die Einsamkeit und Kargheit der Tundra.
Das magische Wort heißt Dempster Highway. Eine Schotterpiste, die in den Nordwesten Kanadas führt. Zu den kleinen Dörfern der „First-Nations-People“, wie die Inuit-Indianer genannt werden. Hier gab es nie Gold und erst vor kurzem wurden einige Ölquellen entdeckt. Bisher hatte niemand Interesse an der eintönigen Landschaft mit ihren sommerlichen Stechmücken und winterlichen Blizzards. Erst 1979 wurde der Dempster Highway fertig gestellt, der nach 740 Kilometern die letzte Bastion Inuvik erreicht, eine Stadt mit 5000 Menschen. Eine Kirche, gebaut in der Form eines Iglus ist das Wahrzeichen der Stadt, wo der Pfarrer für die sonntägliche Messe oder die Taufe eingeflogen wird. Alle Gebäude stehen hier auf Stelzen, damit das Antauen des Permafrostbodens die Häuser nicht einstürzen lässt.
Im Winter geht die Reise auf den gefrorenen Flüssen und Eisbrücken bis hinauf an den Rand des Kontinents. In den warmen Monaten sind kleine Flugzeuge das einzige Verkehrsmittel. Hier zeigt sich, wer die innere Kraft für die unendliche Einsamkeit besitzt und so mancher soll froh gewesen, endlich mal wieder ein Haus oder einen Gartenzaun zu sehen.
Dagmar Kluthe
© Fotos Udo Bernhart / Tourism British Columbia
Erschienen in “Arztliches Journal”