Reisebericht


Schätze in Silberland


Veröffentlicht am 07.10.2004 von Dagmar Kluthe in der Kategorie Südamerika.
Schlagworte: Anden, Polo, Tango.


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Zwei Uhr morgens in Buenos Aires. Auf der Avenida Corrientes flanieren die Nachtschwärmer, vor den Kinokassen bilden sich Schlangen zur letzten Vorstellung. In den Buchläden drängeln sich die Menschen, als blieben nur die nächtlichen Stunden zum Schmökern. In den Restaurants servieren schwarzbefrackte Kellner das gegrillte Fleisch des Asado und eine Atmosphäre fröhlicher Gelassenheit liegt in dem Raum, offensichtlich denkt niemand an die Uhrzeit. Dann dämmert der Morgen, die Kinos leeren sich, noch ist Zeit für einen letzten „Cafécito“. Allmählich wird es ruhiger in den Straßen, als wolle die Stadt kurz durchatmen vor der kommenden Rush-hour. Auf den Parkbänken sitzen schon die ersten Zeitungsleser.

Hier gäbe es das aufregendste Nachtleben, die korruptesten Beamten, die schlimmsten Abgase und die meisten Unfalltoten. Superlative einer Diva, die von goldenen Zeiten träumt und dabei von einer Rezession in die nächste stolpert. Doch der Metropole am Rio de la Plata fehlt das Fordernde von New York, das totale Chaos eines Saõ Paõlo. Von Buenos Aires fühlt man sich sofort aufgenommen, vermitteln die Gründerzeitfassaden viel Vertrautes, auch wenn sie oftmals recht verlottert aussehen. Da könnten die Kaffeehäuser auch in Wien stehen, wäre da nicht die überbordende argentinische Lebenslust. Wie magisch wird man von dem Treiben auf den breiten Straßen, den Avenidas angezogen. Sei es die gewaltige „Nueve de Julio“, wo sich der nie endende Verkehr auf zwölf Spuren bewegt und südamerikanische Fahrleidenschaft das Überqueren dieser Asphaltschneise zu einem Abenteuer mit ungewissem Ausgang werden lässt. Oder die ständig überfüllte Fußgängerzone der Florida, deren Atmosphäre durch lautstarke Streitgespräche bestimmt wird, denn jeder Argentinier hat die Politik im Blut.

Die Porteños, wie sich die 12 Millionen Einwohner von Buenos Aires nennen, sind stolz auf ihre europäischen Wurzeln und blicken eher abschätzig auf die „Halbwilden“ der Nachbarländer.

Ein Symbol kultivierter Lebensart ist das Teatro Colón, das mächtige Opernhaus von Buenos Aires. In der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, als sich die Welt vor dem Reichtum Argentiniens verbeugte, wurden hier alle berühmten Orchester und Sänger gefeiert. Noch immer sind die Premieren die gesellschaftlichen Höhepunkte der Saison und „la gente buena“, die oberen Zehntausend, wetteifern in der Größe der Juwelen und dem dernier cri ihrer Garderobe.

Man liebt die Selbstdarstellung, sei es an den ehemaligen Hafendocks von Puerto Madero oder in den feinen Straßen des Barrio Norte wie Alvear und Quintana, die sich mit den europäischen Modemeilen messen wollen. Selbst die toten porteños bewahren ihre gesellschaftliche Ambition und so liegt auf dem Friedhof von La Recoleta nur, wer es auch im Leben geschafft hat. Eine Miniaturstadt aus protzigen Mausoleen, doch die meisten Besucher suchen den schwarzen Marmorblock der legendären Evita. In den fünfziger Jahren waren ihr Charisma und politischer Ehrgeiz eine unverzichtbare Stütze für das Regime ihres Ehemanns Juan Perón. Noch heute unvergessen sind ihre Auftritte auf dem Balkon der Casa Rosada, dem Regierungspalast, wo ihnen die Massen zujubelten. Die Plaza de Mayo hat ihre politische Bedeutung nie mehr verloren. Jeden Donnerstag treffen sich hier die Mütter mit den weißen Kopftüchern und erinnern an ihre Männer, Söhne und Töchter, die während der letzten Diktatur verschwunden sind.

Dagegen scheint die argentinische Welt im Stadtviertel von San Telmo noch in Ordnung. Fast dem Verfall preisgegeben, wurde diese Gegend in den sechziger Jahren von der Bohème entdeckt und nun feiert man die Nostalgie. Eine morbide Atmosphäre aus den zwanziger Jahre liegt über diesen Häusern und in den Patios haben sich skurrile Läden eingerichtet, die oftmals mehr einem Theaterfundus ähneln. Da macht das Stöbern viel mehr Laune als auf dem sonntäglichen Trödelmarkt auf der Plaza Dorrego. Ein paar Straßen weiter liegt La Boca, Heimat des Diego Maradona und Geburtsstätte des Tango, dessen Anfänge in den Liedern heimwehkranker Immigranten lagen. Denn hier landeten alle jene aus Europa, die sich Hoffnung auf ein besseres Leben in Argentinien machten. Heute bewundern die Besucher das aufgepeppte Gässchen von El Caminito mit seinen schreiend bunten Wellblechfassaden, doch schon hinter der nächsten Ecke blickt man in die Realität eines Armutsviertels. Weg vom Hafen mit seinem verdreckten Wasser haben sich die Erfolgreichen in die nördlichen Quartiere eingekauft, in der Nähe der grünen Parks von Palermo, der Country Clubs von San Isidro, der Spielfelder für den Nobelsport Polo. Dort verdienen sich Schönheitschirugen eine goldene Nase und wegen der vielen Psychiater rund um die Plaza Güemes sprechen die Zyniker von der Villa Freud.

Tango

Argentinien, das sei Buenos Aires und der Rest, meinen die Porteños. Zu diesem Anhängsel gehört Patagonien und das sind 900 000 Quadratkilometer eines Territoriums, das sich Argentinien und Chile teilen müssen. „El Sur“, wie es die Einheimischen nennen, ist ein Stück Erde für Legenden und die Erzählungen des britischen Reiseschriftsteller Bruce Chatwin haben Patagonien zu einem Mythos gemacht. Da sind Weite und Einsamkeit und der ewige Kampf gegen den Wind, der einem den Atem raubt, wenn er wie ein Irrwisch an den wenigen Baumkronen zerrt und die harten Grashalme zu Boden peitscht. Über tausende von Kilometern fährt man durch endlose Ebenen, die nur durch die Zäune der Landbesitzer abgegrenzt werden. Wo schon ein aufgescheuchtes Guanako oder ein fliehender Nando zum Ereignis des Tages zählen.

Ein Ausläufer der Anden, die Darwin Range, teilt dieses Ende Südamerikas in zwei Hälften, in die trockene sturmgeplagte Steppe und jenseits der imposanten Bergkette beginnt eine Landschaft von subarktischen Wäldern, von Seen, Fjorden und Gletscherfeldern. Das ist die Szenerie von Feuerland, dessen Archipel aus vielen unbewohnten Inseln durch die Magellanstraße von übrigen Kontinent abgetrennt wird. Die Spitze bildet der Felsen von Kap Horn, dort wo Atlantik und Pazifik aufeinander prallen. Das bedeutet tagelange Orkane, die das Meer in einen Hexenkessel verwandeln und selbst das Wasser in den geschützten Kanälen zu weißer Gischt aufwühlen. Nur selten erreichen die Temperaturen mehr als zehn Grad, gehören Nebel und Regen zum Normalen.

So hat sich Feuerland die Aura des Mystischen bewahrt, denn selbst hartgesottene Idealisten resignieren nach wenigen Jahren. Zu einsam, zu nass, zu kalt. Das war nicht immer so, denn die ersten Europäer trafen auf Indianer, die als Jäger und Fischer perfekt mit dieser Unwirtlichkeit zurechtkamen. Doch das Eindringen westlicher Zivilisation haben die Urvölker nicht überlebt. Heute fehlen die Menschen und daher gibt es keine verbindenden Straßen und kaum Flughäfen, lässt sich diese vergessene Welt nur mit dem Schiff erkunden.

Einer der Häfen liegt in Ushuaia, der südlichsten Stadt Argentiniens, deren Karriere als Strafkolonie begann und heute hoch subventioniert wird, weil sie das Tor zur begehrten Antarktis ist. Auf der Avenida San Martin mit ihren zahllosen Outdoor-Läden treffen sich für wenige Monate im Jahr die Weltenbummler und Abenteurer. Für einen ist die Reise in die Antarktis und für anderen eine Kreuzfahrt quer durch die Inselwelt von Feuerland mit einer Passage durch die Magellanstraße und den Beagle-Kanal. Diese Wasserstraßen retteten einst die Segelschiffe vor der gefürchteten Umrundung des Kap Horn, doch mit dem Bau des Panama-Kanals haben diese Passagen ihre Bedeutung verloren. Heute ist es eine Fahrt durch die Einsamkeit, vorbei an endlosen Wäldern und riesigen Gletscherfeldern, an Inseln mit brütenden Pinguinen.

An westlichen Ende der Magellanstraße liegt das chilenische Punta Arenas. Eine Stadt, die mit der einst viel befahrenen Passage ihre goldene Zeit erlebte. Übrig geblieben sind die prächtigen Häusern der Schiffsreeder und Schafzüchter, die nun als Museen ein Bild der glorreichen Jahre am Ende der Welt geben.

Ohne den Nationalpark Torres del Paine ist ein Besuch Südamerikas eigentlich nicht denkbar. Fünf Autostunden von Punta Arenas entfernt, ragen die Granitdolme der Dreitausender aus der patagonischen Steppe, blickt man auf die treibenden Eisschollen des Lago Grey. Eine Herausforderung für Freeclimber und Freunde extremer Wandertouren. Dagegen einfach nur genießen lässt sich Patagonien in den heißen Quellen von Puyuhuapi. Eingerahmt von üppigen Farnen sitzt man im dampfenden Wasser eines Erdloches und schaut in den klaren Sternenhimmel. Bei einem Segeltörn entdeckten die Deutschchilenin Christine Kossmann und ihr Vater diese Bucht mit ihren Thermalquellen. Aus einer ehemaligen Bretterbude ist das Luxusressort Termas de Puyuhuapi entstanden. Soweit das Auge reicht, begleiten endlose Wälder das blaugrüne Wasser des Austral-Fjords. Eine übermächtige Natur zwingt die Seele zur Ruhe.

 

Dagmar Kluthe

© Fotos: Udo Bernhart

Erschienen in der

Elle

 

 

  1. Beste Reisezeit: von Oktober bis März
  2. Anreise Argentinien: Lufthansa fliegt täglich nach Buenos Aires, von dort geht es mit der innerargentinischen LAPA nach Ushuaia.
  3. Anreise Chile: LAN CHILE fliegt täglich nach Santiago, von dort in 4 Stunden nach Punta Arenas. Zwischen Punta Arenas und Ushuaia gibt es keine Flugverbindung und keine Straße.
  4. Kreuzfahrt Feuerland: Die Terra Australis ist das einzige Schiff von Cruceros Australis, Avenida El Bosque Norte 0440 Floor 11 in Santiago, Chile. Tel 0056-2-4423110 oder Fax 056-2-2035173. Es ist das einzige Kreuzfahrtschiff, das die Erlaubnis besitzt in den Hoheitsgewässern der chilenischen Marine auf Feuerland zu fahren. Sämtliche Informationen unter www.australis.com. Reservierungen unter der e-mail-Adresse: terra@australis.com.Die „Terra Australis“ fährt vom 29. September bis 21. April durch die Inselwelt Feuerlands. Es gibt Reisen von Punta Arenas nach Ushuaia und retour (7 Nächte), Punta Arenas nach Ushuaia (4 Nächte) oder Ushuaia nach Punta Arenas (3 Nächte).
  5. Nationalpark Torres el Paine: Das Bettenangebot ist eher gering. Das schönste Hotel, Salto Chico, liegt am Lago Pehoé und ist ganzjährig geöffnet. Ausflüge und Verpflegung sind in den Übernachtungspreisen enthalten. Explora S.A. Av. Americo Vespucci Sur 80, Las Condes, Santiago. Email: explora@entelchile.net Website: www.interknowledge.com/Chile/explora
  6. Den Torres el Paine-Nationalpark bieten viele Reiseveranstalter an wie DERTOURS, Wander- und Bergtouren findet man bei Hauser Exkursionen oder DAV Summit Club in München.
  7. 4553

 


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