An vielen Tagen kann die Bar „Marocco“ das Tor zum Paradies sein. Eine Flucht aus Lärm und Dieselgestank des chaotischen Verkehrs auf Palermos Corso Vittorio Emanuele in die Welt von Tassengeklapper und den betörenden Duft von frisch gemahlenem Kaffee. Ein wohl temperiertes „Buon giorno“ von Emilio empfängt jeden Gast. Seit fünf Uhr steht er an der Kasse und jeder muss an ihm vorbei, denn ohne „Scontrino“ gibt es keinen Kaffee. Dann stehen sie in Dreierreihen vor den fauchenden Espressomaschinen. Auf dem Tresen türmen sich brioche, tramezzini und cannoli, die süße Verführung Siziliens, ein frittiertes Hörnchen mit Vanillecreme gefüllt. Im Stakkato-Rhythmus fliegen die Bestellungen durch den Raum, doch es bleibt immer noch Zeit, sich nach der Familie zu erkundigen, und dann steht der Espresso bereit. Seit vielen Jahrzehnten ist die Bar Marocco ein Spiegelbild von Palermo, denn alle kommen hierher. Im Morgengrauen die Straßenkehrer und Müllmänner, dann Bankangestellten und Advokaten, am späten Vormittag die Hausfrauen und die Touristen. Denn gegenüber steht die Kathedrale, eine der Attraktionen der Stadt, hier wurde der legendäre Stauferkaiser Friedrich II. begraben.
Dort wartet Maurizio, der mich durch seine Stadt begleitet. „Immer liegen Blumen von Verehrern an seinem Grab,“ erzählt er, doch an diesem Vormittag sind es nur ein paar verwelkte Rosen vor diesem Ungetüm aus rotem Porphyr.
Im frühen Mittelalter, unter den Sarazenen, Normannen und Staufern, erlebte Palermo seine besten Jahre, die mit dem Tod Friedrichs II. 1250 zu Ende gingen. Aufgewachsen ist Friedrich II. im Palazzo Reale, nur wenige Minuten vom Dom entfernt, und während seiner Regierungszeit trafen sich dort Gelehrte und Künstler, wurde arabisch, griechisch und lateinisch gesprochen. Seit 1947 wird das Gebäude von der Regierung von Sizilien genutzt, aber die Palastkapelle ist für Besucher geöffnet. Vom Boden bis zur Decke mit goldenen Mosaiken verziert, auf schönste Weise verbindet sich in der Cappella palatina arabische Fabulierkunst mit der strengen normannischen Architektur.
Auch die anderen Kleinode dieser Epoche wie die Kirchen La Matorana und San Cataldo liegen quasi um die Ecke, keck leuchten die fünf roten Kuppeln von San Giovanni degli Eremiti in der Sonne.
Zurück auf dem Corso Vittorio Emanuele, der im Volksmund Cassaro heißt, geht es zur Piazza Vigliena, die in Palermo nur I quattro Canti genannt wird. Es ist geometrische Mitte der Stadt. Überreich sind die Fassaden der Eckgebäude mit den Skulpturen der spanischen Könige und Schutzheiligen der Stadtviertel verziert.
Nördlich des Cassaro liegen die Märkte von Lo Capo und Ballaro. In den engen Gassen drängen sich die Stände, quellen über mit Oliven, Peperoni, getrockneten Tomaten und den eingelegten Kapern von nahen liparischen Inseln. Dazwischen kleine Lokale, die mit ihren Tischen auch noch ein paar Quadratmeter abteilen, wie die „Trattoria supra i porti“ auf der Piazzetta Carini. Der Wirt taucht auf und in der Hand trägt er vorsichtig eine Languste, die noch kräftig ihre Beine bewegt. „Hallo Emilio,“ ruft Mauricio, „da ist unser Mittagessen!“ Wenig später stehen die Teller mit der verführerischen Pasta vor uns, dazu ein Glas Vigna da Gabri vom Weingut Donnafugata.
Am Nachmittag fahren wir nach Monreale, das oberhalb von Palermo auf dem Monte Caputo liegt. Rund eine Million Touristen im Jahr wollen das schönste Bauwerk normannischer Architektur sehen. Im Auftrag von König Wilhelm II. erbaut, überwältigt der Dom mit seinen herrlichen Mosaiken, die biblische Geschichten erzählen und über all dieser goldenen Pracht thront Pantokrator Christus in der Halbkugel der Apsis. Rechts neben dem Dom ist der Eingang zum romanischen Kreuzgang, es ist das Überbleibsel der einstigen Benediktinerabtei. Viele Stunden könnte man mit dem Studium der Säulen verbringen. Besonders schön ist das 19. Kapitell an der Westseite, dort überbringt der König Wilhelm II. der Madonna das Kirchenmodell.
Nach soviel Opulenz verlangen Augen und Seele nach etwas Ruhe und nichts könnte perfekter sein als der Tempel von Segeste. Völlig einsam, mitten in einer Wiese, steht das Bauwerk der Elymer, ein Volk, das lange vor den Griechen nach Sizilien kam. Die einst umliegende Stadt ist längst verschwunden.
Noch einmal faszinieren die Elymer, und diesmal ist das Dörfchen Erice oberhalb von Trapani. An diesem späten Nachmittag liegt eine große, abweisende Stille über den mittelalterlichen Häusern. Alle Fensterläden sind geschlossen. In den buckligen Gassen ist kein Mensch zu sehen. Wir gehen durch die Porta Trapani, vorbei am Castello Pepoli, heute ein Luxushotel, und erreichen das normannischen Castello di Venere. Ein leichter Abendwind zieht heran und wir genießen die grandiose Aussicht über die Ebene von Trapani mit seinen endlosen Weinbergen. Am Horizont schimmert das Meer, dort liegen die berühmten Salinen von Trapani. Auf dem Rückweg sollte man eigentlich das berühmte Mandelgebäck von Maria Grammatico mitnehmen, doch ihr Laden ist schon geschlossen.
Nun geht es die Westküste hinunter, am Stadtrand von Marsala liegt die Kellerei von Donnafugata. Es ist die Gegend des Marsala – Weines, der hier seit dem Ende des 18. Jahrhunderts vornehmlich für den englischen Markt produziert wird. Auch die Familie Rallo widmete sich für 150 Jahre diesem Dessertwein, bis Giacomo Rallo Ende 1970 entschied, auf trockene Weine umzusteigen. Die Reben für die Weißweine wachsen rund um Marsala, denn sie brauchen die Kühle des Meeres, während die Rotweine bei Contessa Entellina in der heißen Mitte Siziliens gedeihen. Es war die Idee von Ehefrau Gabriella, dem heutigen Weingut den Namen Donnafugata zu geben, entnommen aus den weltberühmten Roman „Der Leopard“. Seit etlichen Jahren haben die Kinder die Führung übernommen, nun kümmert sich Tochter José um das weltweite Marketing der 2,5 Millionen Flaschen und Bruder Antonio leitet die Produktion. Bei der Verkostung schimmert die Sonne durch einen Rotwein. Es ist der rote „Mille e una Notte“, der mit Kraft und Frucht überzeugt, während beim Passito Ben Rye von der nahen Insel Pantelleria alle Düfte und Aromen Siziliens in einem Glas eingefangen wurden.
Dagmar Kluthe
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