Veröffentlicht am 31.07.2002 von Dagmar Kluthe in der Kategorie Europa.
Schlagworte: Natur, Nordhessen, Stille, ursprünglich.
Freizeitsport auf der Werra, ein ungewöhnliches Thema, denn allzu oft kam dieser
Fluss als unappetitliche „Salzbrühe“ in die Schlagzeilen. Seit über hundert Jahren
wird im mittleren Werratal Kali gewonnen und die grau-weißen Ungetüme der „Monte
Kali“ sind über viele Kilometer zu sehen. Doch mit der verminderten Nachfrage wurde
der Bergbau sehr gedrosselt und nun können Angler und Paddler wieder ihrem
Hobby frönen.
Knapp dreihundert Kilometer sind es von dem Quellgebiet im Thüringer Wald, in der Nähe der Stadt Eisfeld, bis nach Hann. Münden. Dort verbindet sich die Werra mit der Fulda und mündet als Weser in die Nordsee. Während des Kalten Krieges markierte der Fluss an vielen Stellen die Grenze zur ehemaligen DDR und viele Menschen versuchten unter Lebensgefahr in den Westen zu schwimmen.
Nach dem Fall der Mauer regt sich nun ein neuer Tourismus in diesem Tal, sei es auf
dem Wasser und auf Fahrradwegen. Es ist auch ein Ausflug in wichtige Ereignisse
deutscher Kulturgeschichte, denn die Werra durchquert Thüringen und Hessen in
nordwestlicher Richtung und in ihrem Dunstkreis entstand mit der Wartburg ein
Inbegriff der höfischen Kultur der Minnesänger. Dort oben wurde die Reformation
vorbereitet und dreihundert Jahre später traf sich der deutsche Nationalstolz mit den
Burschenschaften. Etwas weiter südlich gründete man in dem Städtchen
Schmalkalden den „Schmalkaldischen Bund“, eine Vereinigung einflussreicher
protestantischer Städte, die sich gegen die Machtgelüste des katholischen Kaisers
Karl V. wehrten.
Die meisten Touren auf der Werra beginnen in Meiningen. Doch bevor man das
Kanu aufs Wasser setzt, sollte man durch die einstige Residenzstadt flanieren, deren
Bernhardstraße mit ihren neu renovierten Villen viel von der Atmosphäre eines
einstigen Herzogtums vermitteln. Bekannt wurde Meiningen durch sein Theater, das
Ende des 19. Jahrhunderts unter der Ägide des „Theaterherzogs“ Georg II. durch
ganz Europa reiste und noch heute mit spannenden Inszenierungen für viel Interesse
sorgt.
Doch wir wollen das ehemalige Zonenrandgebiet kennen lernen und starten in dem
Örtchen Heldra, denn hier verläuft die Grenze zwischen den heutigen Bundesländern
Thüringen und Hessen. Nichts mehr erinnert an die Dramatik, als hier noch Minen
und scharfe Hunde über die Absperrung zur DDR wachten. Innerhalb kurzer Zeit hat
sich die Natur ihr Terrain zurückerobert, sind aus den einstigen Schneisen aus
geharktem Sand wieder Felder und Wiesen geworden. Unterhalb des fünfhundert
Meter hohen Heldrasteins setzen wir die Kanus ein, knobeln anfangs am Rhythmus
des Paddelns herum, aber mit der Gleichmäßigkeit der Schläge gewinnt das Boot an
Schnelligkeit und bewegt sich mühelos voran.
Schon um 1900 war dieser Berg ein beliebtes Ausflugsziel, denn sein Aussichtsturm
bietet einen einzigartigen Blick über das Werratal. Doch mit Beginn des Kalten
Krieges wurde der Heldrastein zu einem Abhörposten in den Westen umgebaut und
hermetisch abgeriegelt. Aber kurz nach dem Fall der Mauer hat man Stacheldraht
und Lauscheinrichtungen abmontiert und nun treffen sich ganze Scharen von
Wanderern auf dem renovierten „Turm der Einheit.“ Auch in Großburschla kann man
sich die Groteske des Todesstreifens kaum mehr vorstellen. Damals lag das
eigentliche Dorf auf dem Staatsgebiet der DDR, während sein Bahnhof zu Hessen
gehörte, getrennt durch die Werra. Nur wenige Kilometer flussabwärts kommen wir
an Altenburschla vorbei, da von seiner einst misslichen Lage direkt an Zonengrenze
eher profitiert hatte. Mit Bussen reisten die Leute heran, um in die DDR „gucken“ zu
können. Schnell begriffen die Einheimischen ihre Chance und putzten ihr Dorf
heraus, noch heute verführt der blumengeschmückte Dorfanger zu einer Pause.
Daneben liegt der Garten des „Landgasthofes Gemeindeschänke“, wo man unter
Kastanienbäumen eine verfeinerte nordhessische Küche genießen kann.
Dass dieser Fluss nicht immer nur der Freizeit diente, zeigen die alten Lagerhäuser
„auf der Schlagd“ in Wanfried. Längst sind die mächtigen Fachwerkbauten leer, aber
sie erinnern an die Zeit, als Wanfried mit dem Stapelrecht 1607 zu einem
Umschlagplatz für Waren aus dem nahe gelegenen Eichsfeld agierte. Doch die
Kontinentalsperre Napoleons brachte das Ende der Weser-Werra-Schifffahrt, und
kurz danach übernahm die Eisenbahn sämtliche Transporte. Geblieben sind
Wanfried die eindrucksvollen Fachwerkhäuser wie das Keudell‘sche Schloss und die
Gasthöfe Alte Post und Schwan.
Bald gibt es etwas Abwechslung für die Paddler, denn beim Eschweger
Landgrafenschloss wartet die erste Schleuse. Das bedeutet Aussteigen, denn das
Kanu muss unterhalb des Wehres geschleppt werden. Dort wartet gleich eine
lebhafte Strömung, und mehrere Strudel wirbeln das Wasser kreisförmig herum, aber
das Kanu hoppelt behäbig über die kurzen Wellen. Eine ungeahnte Ruhe liegt über
dem Fluss, nur gelegentlich fliegen ein paar Enten erschrocken nach oben, eine
leichte Strömung trägt unser Boot in ein Paradies von grüner Üppigkeit. Dann ist
Allendorf in Sicht, wo sich am Flussufer die Fachwerkhäuser des „Fischerstad“
aufreihen. Es ist Zeit für ein spätes Mittagessen. Wir ziehen unser Kanu an Land und
mit steifen Knien geht es zum Gasthof „Ahle Schinn“ neben der Werrabrücke. Hier
sollte man die „ahle Worscht“ essen, ein herzhaftes Aushängeschild nordhessischer
Metzger. „Im Sommer kommen viele Touristen im Kanu oder auf dem Fahrrad
vorbei“, erzählt die Wirtin Renate Buchta. Ohne die Freizeitsportler wäre das
Geschäft schlecht, denn seit der Gesundheitsreform fehlen die Kurgäste aus dem
Ortsteil Bad Soden. In Richtung Witzenhausen ist die Werra sehr faul geworden, und
wir müssen kräftig paddeln. Langsam beginnen die Arme und Schultern zu
schmerzen und man sehnt den Anblick der steinernen Brücke von Witzenhausen
herbei. Mit Erleichterung ziehen wir dort die Boote aus dem Wasser und lassen uns
auf den nächsten Stuhl einer Eisdiele fallen.
Das Finale am „Weserstein“ in Hann. Münden, dort wo die Werra mit der Fulda zur
Weser vereint, müssen wir verschieben. Es wären noch zwei weitere Stunden im
Boot.
Dagmar Kluthe
© Fotos: Udo Bernhart
Erschienen im
- Viele Orte entlang der Werra bieten Arrangements mit dem Kanu Sehr viel Information bekommt man durch jährlich erscheinende „Werratal Journal“, das in Buchhandlungen und Fremdenverkehrsämter erhältlich ist. Es gibt eine detaillierte, spiralgebundene Radwanderkarte „Werratal-Radweg“ von den Quellen bis zur Mündung. Dort sind Hotels und Gaststätten entlang der Werra verzeichnet.
- Organisierte Touren mit dem Kanu bieten an:
- In Thüringen: Kanu Tours Pfannenstiel, Ellerberg 15, in 98590 Schwallungen, Tel: 036848/22935
- In Hessen: Busch Freizeitservice Kanuverleih Tel+Fax 05541/660777, www.busch-freizeit.de
- Empfehlungen in Thüringen
- Sämtliche Informationen bekommt man vom Tourismusamt in Bad Salzungen Tel: 03695/616418, e-mail: tourismus@wartburgkreis.de
- Berühmt ist das Theater von Meiningen. Auskunft und Kartenvorverkauf: Tourist-Information Meiningen, Bernhardstraße 6, Tel 03693/44650, Fax 03693/446544.
- Arrangements bietet das „Romantikhotel Sächsischer Hof“, Georgstraße 1, Tel: 03693/4570, e-mail:saechischer-hof@romantik.de
- Schon zu DDR-Zeiten sehr bekannt war das „Graue Schloss“ direkt an der Werra in Mihla, Tel 036924/42272
- Sämtliche Informationen zum hessischen Werratal bekommt man vom Fremdenverkehrsamt Werra-Meißner-Land, Nordbahnhofsweg 1 in 37213 Witzenhausen. Tel 05542/958158 und Fax 958199, e-mail: tourismus.werra-meissner-land@t-online.de
- Landgasthof Gemeindeschänke in Altenburschla, Tel 05655/274
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