Reisebericht


Festung der Stille


Veröffentlicht am 01.12.2000 von Dagmar Kluthe in der Kategorie Europa.
Schlagworte: Einsamkeit, Kloster, Stille, Südtirol, Wandern.


Nonnen 2

Gesucht hatte ich absolute Ruhe. Stattdessen klopft es heftig an meine Zimmertür: ”Gelobt sei Jesus Christus!” Die Uhr zeigt halb sechs: das Morgengebet. Schnell in Hose und Pullover geschlüpft, haste ich im Schein des Hoflichts über das bucklige Kopfsteinpflaster zur Klosterkirche. Während des Gebets registriere ich mit Erleichterung ein verstohlenes Gähnen. Auch andere sind schlaftrunken. Wieder in meinem Zimmer, falle ich kopfschüttelnd zurück ins Bett.

Auszeit im Kloster Säben: der Hektik des Alltags entfliehen, raus aus der Welt der Zwänge. In aller Ruhe wieder zu sich selbst finden. So hatte ich mir das vorgestellt. Und nun dieser straffe Terminkalender: Morgengebet um 5.30 Uhr, um 7.30 Uhr läuten schon wieder die Glocken zur Heiligen Messe. Paarweise kommen die Schwestern aus der Sakristei, verbeugen sich vor dem Altar, gehen lautlos zu den Chorstühlen, deren düsteres Knarren fast unheimlich klingt. Meist sind die Augen auf den Boden gerichtet, nur gelegentlich streift ein scheuer Blick über die Besucher des Gottesdienstes. Gregorianische Gesänge füllen den Raum, die in ihren ungewohnt hohen Tonlagen etwas sehr Melodisches haben. Sie erzeugen eine Atmosphäre der Unendlichkeit, die mich wie ein seidener Schal umfasst und für Minuten in eine andere Welt entführt. Beim Frühstück finde ich die bekannte Welt wieder. Da treffen sich alle, die hier ein paar Tage Entspannung finden wollen – und die die exponierte Lage dieser Abtei anlockte. Denn keiner, der über den Brennerpass nach Süden fährt, kann diesen Felsen oberhalb des Städtchens Klausen übersehen.

Kloster 1

Wie eine mittelalterliche Trutzburg thront die Abtei der Benediktinerinnen über dem Eisacktal. Noch immer müssen steile Wege zu Fuß bewältigt werden, um dort hinauf zu gelangen. Das Gepäck geschultert, erreicht man keuchend und verschwitzt die Klosterpforte, wo Schwester Maria öffnet: ”Kommen’s nur herein”. Dann läuft sie eilfertig voran, öffnet mit Elan eine Zimmertür: ”Hier können’s wohnen”. Ein kont rollierender Blick, ob alles in Ordnung ist, dann ist Maria weg und die Tür wieder zu. Verblüfft schaue ich mich um: Statt in der erwarteten engen Zelle mit spartanischer Einrichtung stehe ich in einem großen hellen Zimmer. Akkurat sind ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl und ein Schrank plaziert, liegen am Waschbecken zwei perfekt gebügelte Handtücher. Über dem Tisch hängt ein Kruzifix und neben der Tür steht ein Gefäß mit Weihwasser. Die Südtiroler Sonne scheint durch das Fenster und gibt dem Raum eine fast me diterrane Atmosphäre. Labsal für die Seele – bis ich registriere, dass es hier keinen Fernseher und kein Radio gibt. Doch in den Gedanken, wie ich wohl den Abend ohne ‘Tagesschau’ verbringe, läutet eine Glocke: Maria ruft zum Mittagessen. Eine zierliche Person, deren Augen wach aus dem faltigen Gesicht herausblitzen. Als eine ”Gastschwester” betreut sie uns Erholungssuchende und ist die Kontaktperson des Klosters zur Außenwelt. Maria darf sich frei bewegen, sie hat das Ewige Gelübde nichtabgelegt. Das unterscheidet sie von den übrigen Schwestern: Säben ist ein ”versperrtes Kloster”, nur mit Erlaubnis der Äbtissin oder der Diözese dürfen die Nonnen die Gebäude verlassen, kann Urlaub in einem befreundeten Kloster gemacht werden. Mit dem Ablegen der ”Ewigen Profess” gelten die Prinzipien des Benedektinerordens: Armut, Keuschheit, Gehorsam und das Verbleiben in jenem Kloster, in das man eingetreten ist. So auf alles zu verzichten, auf Familie und Kinder, auf Kultur und Abwechselung, auf Erfolg im Beruf und all die netten Annehmlichkeiten unseres Lebens – für mich unvorstellbar.

©Foto:Udo Bernhart

Zugleich ein faszinierender Gedanke – unabhängig von den Verführungen der Werbung zu sein, über Handys zu lächeln, keinem Modetrend hinterherzuhetzen, menschliche Wärme und Geborgenheit statt Konkurrenz zu erleben. Welch innere Kraft wird einerseits von diesen Schwestern verlangt, alle Wünsche zurückzustellen, welche Kraft andererseits gibt ihnender Glauben. Hinter schweren Holztüren mit eisernen Beschlägen liegt die Klausur, der für Besucher verschlossene Teil des Klosters; dort leben, beten und arbeiten die Schwestern. An den Wänden hängen große dunkle Porträts der ehemaligen Äbtissinnen, die allesamt recht finster dreinschauen. Der Fußboden glänzt vor peinlicher Sauberkeit, der Geruch von Bohnerwachs steigt mir in die Nase. Puristisch der Essraum; die blanken Tische wurden mit Teller, Besteck und Wasserglas eingedeckt. Wieder diese Atmosphäre einer heiligen Ruhe, so dass man kaum zu atmen wagt. In einer Ecke steht ein Pult: Während der schweigend eingenommenen Mahlzeiten werden Passagen aus der Bibel oder aus Romanen vorgelesen.

Immer wieder sind es diese Mauern, die irritieren – besonders auf Säben, das einst als Festung gebaut wurde und dessen Gemäuer das Wehrhafte und Abweisende nie verloren hat. Eingeschlossen zu sein, um sich selbst näher zu kommen und einer Religion zu dienen – ist das nicht ein zu schwerer Weg zur inneren Harmonie? Kein Wunder, dass alle Abteien eklatante Nachwuchsprobleme plagen: ”Momentan ist die Kirche nicht in Mode”, sagt Maria. Früher gab es keinen Mangel, denn die Tradition in den tief katholischen Bergtälern forderte, dass man eine Tochter für das Kloster vorsah und ein Sohn Pfarrer werden sollte. Das war gut für das Seelenheil und die Eltern hatten gleich zwei ihrer zahlreichen Kinder versorgt. ”Regele dein Leben, und das Leben regelt dich”, sagt Äbtissin Ancilla Hohenegger. So sind die Stunden des Betens und Arbeitens genau eingeteilt und bestimmen den Alltag im Kloster. Vielleicht ist es gerade dieser akkurate Wechsel zwischen aktiv und passiv, der so viel Ruhe in ein Leben bringt.

P361NEU

Reichlich entnervt war ich an jenem Montagabend an der Klosterpforte angekommen, noch zornig über das eigene, viel zu schwere Gepäck und meine mangelnde Kondition. Doch dann geschieht etwas mit mir: Maria fängt mich mit ihrer ruhigen Ausstrahlung ein. Ich entdecke die Faszination der Langsamkeit, mein hektisches Gemüt beruhigt sich. Innerhalb nur weniger Tage fügt man sich in den Klosteralltag, genießt die Gelassenheit. Jetzt lächele ich darüber, dass ich einen Fernseher in meinem Zimmer vermisste. Ich lese jede Zeile in der Zeitung, weil ich sie in einem einstündigen Fußmarsch aus dem Dorf holen muss. Plötzlich wird man nicht mehr von der Uhr beherrscht, es bleibt Zeit zum Herumlaufen, Herumsitzen oder Reden.

Kloster 3

Mit den Gesprächen beginnt meine eigene Reflexion. Ich gönne mir den Luxus, Gedanken über Stunden reifen zu lassen. Früher fast süchtig nach Nachrichten, ärgert mich jetzt jedes Lebenszeichen meines Handys, weil es mich zwingt, zu reagieren. Da der Funkkontakt hinter den dicken Mauern schlecht ist, muss ich jedes Mal einen Spaziergang machen, den Terminkalender unter dem Arm. Bei einem dieser Funkgänge entdecke ich das Weiß der Kapelle am Latzfonser Kreuz, das auf 2300 Meter Höhe liegt.

Kurz entschlossen ziehe ich die Wanderschuhe an. Hinter dem Bergdorf Latzfons beginnt der Kreuzweg zur kleinen Kirche. Gut zwei Stunden dauert der Aufstieg: Hier trägt in jedem Frühjahr eine Prozession” den schwarzenHerrgott von Ritzlar” hinauf und im Spätherbst wieder ins Tal hinunter. Doch auf den sportlichen Geist warten noch weitere zweihundert Höhenmeter, bevor man die Kassiansspitze erreicht hat. Neben dem Gipfelkreuz lasse ich mich nieder, genieße den Blick über die Landschaft der hochgelegenen Almen der Sarntaler Berge. Einfach nur dasitzen und schauen, dem leise sirrenden Wind zuhören – ein guter Abschluss nach einer Woche Auszeit im Kloster.

©Foto:Udo Bernhart

Zurück bleiben mittelalterliche Mauern, die seit dreihundert Jahren die Geheimnisse von Frauen bewahren, die hier ihr Leben verbrachten. Dieses isolierte Leben erscheint wie ein Anachronismus in unserer vernetzten Welt. Und doch hat es seinen einzigartigen Reiz – wenn man auf Zeit aussteigt aus der täglichen Flut an Informationen, aus Hektik und Banalität. Dagegen bieten die dicken Mauern Schutz – und Raum für Besinnung auf das vielleicht Wesentliche.

Dagmar Kluthe

© Fotos Udo Bernhart

Erschienen in

madame

Dez. 2000

Nonne1

  1. In diesen Klöstern können Sie Urlaub machen:
  2. Fünf-Sterne-Luxus darf man als Gast einer christlichen Gemeinschaft nicht erwarten. Dafür aber Tage der Besinnung und Einblick in eine andere Welt.
  3. Wer in einem Kloster für eine kurze Zeit Ruhe und Besinnung sucht, muss sich darauf einrichten, dass man den Tag weitgehend alleine verbringt. Einige Klöster bieten allerdings auch Seminare und Gruppentermine an, bei denen Seelsorger ein Programm gestalten. Vorhanden sollte auch die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit christlichen Inhalten sein.
  4. Das Südtiroler Kloster Säben nimmt gerne Gäste auf. Telefonische Information und Anmeldung unter (0039 / 0472) 84 75 87, Fax (0039 / 0472) 84 79 96. Von November bis Ostern für Gäste geschlossen. Preis pro Nacht um 35 Mark, mit Halbpension 50 Mark, Vollpension 60 Mark.
  5. Weitere Klöster im deutschsprachigen Raum, die Gäste aufnehmen, nennt der Klosterführer, Matthias-Grünewald-Verlag, Mainz, 240 Seiten. Dieses Buch klärt auch über die unterschiedlichen Orden und Gemeinschaften wie etwa die Claretiner, Dominikaner oder Salesianer auf.
  6. Im Internet finden sich Klöster auf Websites wie www.jesus.de oder www.kath.org.
  7. Viele Klöster, die sich Urlaubern geöffnet haben, verfügen über eigene Internet-Auftritte – z.B. das für sein Bier und die Gastronomie bekannte Benediktiner-Kloster Andechs unter www.andechs.de
  8. oder die Abteil Maria Laach, die für ihre Kunstwerkstätten und -seminare bekannt ist, unter www.maria-laach.de.
  9. Unter www.kloster-ettal.de gibt eine Webcam so gar Einblick in das Leben hinter Klostermauern der Abteil.

Vorheriger Reisebericht:
Nächster Reisebericht: