Alta Badia – man schielt nach der Society und schützt seine Traditionen
Langsam schiebt sich die Februarsonne über die schroffen Wände des Kreuzkofels und kriecht weiter über den Gebirgsstock von La Varella und Conturines. Mit jedem Meter mehr an Licht gewinnen die Felsen an intensiver senfgelber Farbe, erreichen ihre Konturen jene schroffe Kantigkeit, die die Dolomiten berühmt gemacht haben.
Wir sind in La Villa, das mit den Orten Corvara, Kolfuschg und Pedraces die touristische Region des Hochabtei-Tales bildet, auch Alta Badia genannt. Besonders La Villa ist in Sportlerkreisen für die Weltcupstrecke der Gran Risa bekannt. Gut eine Million Skifahrer kommen jedes Jahr in dieses Gebiet, denn die Pisten sind an den beliebten Skizirkus der Sella Ronda angebunden und im Skipass Dolomiti Superski integriert. Hier wird Genussskifahren geboten, denn die Abfahrten sind nicht schwer und sehr gepflegt. Doch es ist nicht alleine das schöne Carven unter imposanter Bergkulisse, seit Jahren punktet Alta Badia mit schönen Hotels und erstklassiger Gastronomie. Längst hat man dem nahe gelegenen und legendären Cortina d’Ampezzo die Show gestohlen, auch der bekannte italienische Skiort Madonna di Campiglio in der Brenta kann nicht mithalten.
Heute ist wieder einer dieser strahlenden Tage, wo sich der Himmel dunkelblau über die verschneiten Berge zieht und alle strömen zur Gondelbahn des Piz La Ila, die sie in das Gebiet der Sella Ronda bringt.
Wir entscheiden uns für eine weniger populäre Variante, die zur Wallfahrtskirche Heiligkreuz führt, die unter dem Kreuzkofel liegt. Aus dem Sessellift schaut man auf La Villa, ein klassisch schönes Bergdorf auf 1400 Metern Höhe, wo sich die Gebäude beinahe scheu unter der imposanten Bergkulisse ducken. Nur der Kirchturm und der spätmittelalterliche Ansitz Ciastel Colz recken sich in die Höhe. Auch die neuen Gebäude fügen sich in die zurückhaltende Architektur des Ortes ein, wie das vor kurzem eröffnete Hotel Ciasa Lara. Eine Fassade aus einheimischem Lärchenholz und großen Glasfenster gibt dem Gebäude ein modernes, aber unaufdringliches Gesicht. Wir wechseln die Talseite und unter uns liegt eine unberührte Almenlandschaft mit Heustadeln und uralten Bauernhäusern, deren vom Wetter gegerbtes Holz mattbraun in der Sonne leuchtet. Als Kleinod steht die kleine Kirche Heiligkreuz aus dem späten 15. Jahrhundert in der Dolomitenszenerie, das Weiß ihrer Mauern bildet einen wunderbaren Kontrast zu den Felsen. Ein selbstverständlicher Pilgerort, wo im Juni in einer Prozession ein kreuzschleppender Heiland hinaufgetragen und im Oktober wieder ins Tal gebracht wird. Eine große Stille liegt über dieser Landschaft, nur wenige Skifahrer machen sich die Mühe, die Bretter abzuschnallen und die wenigen Meter bis zur Kirche hinauf zu laufen.
Das Kontrastprogramm des Trubels bietet der Piz La Ila, quasi gegenüber. Da wird man von Schlagermusik des Club Moritzino empfangen, die auf chic gemachte Skihütte ist ein beliebter Treffpunkt italienischer Schickeria und deutscher Starlets. Seit vierzig Jahren betreibt Moritz Craffonara das Restaurant, und zur Mittagszeit schwärmen die Italiener herein, um seine Spaghetti mit Hummer oder Tagliolini mit Seezunge zu genießen. Dazu werden Südtiroler Weine serviert. Die Gäste sitzen in einem gläsernen Vorbau der Skihütte und bei schönem Wetter wird das Dach aufgezogen. Damit auch keine Minute für der begehrten Sonnenbräune verloren geht.
Dann lockt wieder das Skifahren und als wahrer Kalorienfresser entpuppt sich die schwarze Piste der Gran Risa, wo die Männer jeden Dezember Weltcuppunkte im Slalom und Riesenslalom sammeln. Sie liegt immer im Schatten und die Schwünge rattern über den körnigen Schnee, müssen sich die Kanten der Skier in harten Untergrund krallen, Gleich nebenan führt eine rote Abfahrt in weiten Bögen ins Tal und die Nachmittagssonne hat den Schnee etwas weicher gemacht. Das ist pure Lust des Schwingens und ein Mekka für den Carving-Ski.
Am späten Nachmittag arbeitet schon Hubert Stanzl für seine Gäste, denn im Restaurant des Hotel La Majun gibt es heute einheimische Gerichte und das bedeutet ladinische Küche. „Aber wir kochen weniger fett und verzichten auf so manches Ei,“ erzählt der Koch, denn die lokalen Turtres e Cajinci, der Blätterteigstrudel mit Kraut und die Gerstsuppe sind schon eine deftige Kost. Aber die beste Basis, um am späten Abend zum Sportplatz von La Villa zu laufen. In der Wintersaison werden dort Rennen mit Haflingern und Norikern veranstaltet, den Arbeitspferden dieser Region. Gute zehn Grad minus müssen die Zuschauer an diesem Abend aushalten, doch die Tribüne ist voll mit Gästen und Einheimischen.
Gegen neun Uhr beginnen die Schlittenrennen und die Pferde, die Gäste im ruhigen Trott durch den Schnee ziehen, zeigen nun ein beachtliches Temperament. Angefeuert durch das Publikum, schleudern die alten Bauernschlitten derart durch die Kurven des Stadions, dass die Kutscher Mühe haben, auf dem Bock zu bleiben. Noch etwas ausgelassener geht es beim Skijöring zu und die angehängten Skifahrer zeigen beinahe artistische Leistungen auf den Brettern, um das Ziel erreichen.
Der Organisator Manfred Canins aus dem Nachbarort Predraces ist ein Pferdenarr und möchte die Ross-Traditionen erhalten. Dazu gehört auch die Bauernhochzeit auf Schlitten, die er seit etlichen Jahren als Attraktion für die Gäste durchführen lässt. Doch im kommenden Jahr wird es ernst, denn ein Freund wird endlich heiraten. „In vielen Wochen musste ihn überreden,“ erzählt Manfred Canins, „und es wird ein tolles Fest in alten Gewändern werden.“ Vor Vergnügen klatscht er schon heute in die Hände.
Dagmar Kluthe
Erschienen in der