Mit Elan schlägt Amber die Ärmel eines Ponchos über die Schulter und macht in einer Sekunde aus dem biederen Hänger einen möglichen Trend. „So würde ich zu einer Vernissage in London gehen.“ Die feinste Weberei ist gut hundert Jahre alt und das Preisschild zeigt 2000 U$. Dazu ein auffälliger Silberschmuck im Stil der Indianer der Hochebenen. Amber kommt gerne in diese Boutique, sie liegt in La Marical, dem Viertel der Expats und wohlhabenden Touristen in der Hauptstadt. Man nennt es auch „Gringolandia“, denn die meisten Ecuadorianer können diese Preise nicht bezahlen.
„Komm lass uns etwas trinken,“ beschließt Amber und wir gehen ins „La boca del Lobo“ eines der Szenelokale von Quito. Natürlich liegt es in La Mariscal, dieser wilden Mischung aus kleinen Hotels, unzähligen Restaurants und Bars. Besonders rund um die Plaza Le Quinde, auch Plaza Foch genannt, wird bis tief in die Nacht gefeiert. Bei gutem Wetter sind alle Tische auf der Terrasse des La Boca del Lobo besetzt, denn das „Sehen und Gesehen werden“ liebt man auch in Quito. Eine Flasche Weißwein aus Ecuador und „algo para picar“ etwas zum Naschen. Wir bestellen empanadas con cuy, dabei sind die Teigtaschen mit gegrilltem Meerschweinchen gefüllt. Es ist ein Nationalgericht, das überall in Ecuador angeboten wird.
La Mariscal ist ein wahrer Kontrast zum eigentlichen Quito, deren koloniale Altstadt 1979 zum UNESCO Weltkulturerbe erklärt wurde.
Im Jahre 1534 von den Spaniern als „San Francisco de Quito“ auf Inkamauern gegründet, stehen im historischen Zentrum noch heute 40 Kirchen und 16 Klöster. Dabei ist der Altarraum mit Gold verkleidet, während sich an den Wände die Gemälde aneinanderreihen. Damals ließen die Mönche und Missionare die Einheimischen der Escuela Quiteña gewähren und es entstanden Bilder von biblischen Ereignissen und ihren eigenen Legenden. Sicherlich eines der prächtigsten Gotteshäuser Lateinamerikas ist die Jesuitenkirche La Compania de Jésus. Sie überwältigt mit ihrem kaum fassbaren Reichtum, denn gut sieben Tonnen Blattgold verzieren Wände, Decken und Altäre. Im Vergleich wirkt die Kathedrale, das eigentliche Herzstück der katholischen Kirche, in ihrer Schlichtheit geradezu wie ein Armenkind.
Der Mittelpunkt von Quito ist die Plaza de la Independencia. Ein großzügiges Areal, eingerahmt von der Kathedrale mit dem bischöflichen Palais und dem Regierungsgebäude. Ein gemütlicher Treffpunkt ist der Patio des ehemaligen Bischofspalastes mit seiner blumengeschmückten Loggia. In den Arkaden haben sich Geschäfte und Cafés eingemietet, darunter „Mea Culpa“, das wohl beste Restaurant für ecuadorianische Küche.
Oberhalb von Quito, auf 3200 Metern, liegt die Hacienda Rumiloma, die eigentlich nur mit einem Geländewagen zu erreichen ist. Das Anwesen besitzt fünf Apartments, die mit einheimischen Antiquitäten eingerichtet sind. Im Mittelpunkt liegt das gemütliche rustikale Restaurant mit Terrasse, von dort bietet sich ein umwerfender Blick auf Quito. Im Jahr 2007 hatten Amber und ihre Mann Osvaldo erst das Restaurant, und später das kleine Hotel in Eigenregie gebaut. Kaum eröffnet, brannte der Komplex ab, alleine blieb das Restaurant verschont. Sofort wurden die Freunde alarmiert und nach etlichen Monaten konnten wieder Gäste einziehen. Heute gehört die Hacienda zum Treffpunkt der chicen Quitenõs, alle Gerichte auf der Karte stammen von Amber, die in den ersten Jahren die Küche übernommen hatte. Nun herrscht die Schwiegermutter im Reich der Töpfe.
Der starke Regen am Nachmittag hatte die Hacienda in dicke Wolken eingehüllt und die nasse Kälte durchdringt sogar den Anorak. Also hinunter in die gut 400 Meter tiefer liegende Altstadt und eine der beliebtesten Gassen im Casco colonial ist die Calle la Ronda, ihr Kopfsteinpflaster stammt noch aus der Zeit der Konquistadoren. Einst war diese Ecke als Rotlichtquartier bekannt, nun reihen sich kleine Restaurants, Cafés und Galerien aneinander. Nach dem Abendessen flanieren wir noch ein wenig, die Plazas und Straßen glänzen vor Nässe, die zahlreichen Kirchtürme recken sich in den regenschweren Himmel, allein das gelbliche Licht der Straßenlaternen überzieht die hellen Fassaden mit einem romantischen Touch.
Hundert Kilometer nördlich von Quito, im Dunstkreis des 5760 m hohen Vulkans Cayambe, liegt die Hacienda Zuleta.
Ende des 17. Jahrhunderts gegründet, gehört das Anwesen seit 1889 der Familie Lasso, eine der führenden Dynastien des Landes, die auch zwei Staatspräsidenten stellte. Darunter Galo Plaza Lasso, der Ecuador von 1948 – 1952 regierte. Einst reichte der Besitz bis an den Horizont, doch im Laufe der Zeit sind 2000 Hektar Weideland daraus geworden. Dort grasen 300 Kühe und 1200 Schafe, die ihre Milch an die eigene Käsefabrik liefern. In den letzten Jahren wurde der Tourismus immer wichtiger und daher musste der heutige Chef Fernando die übrige Familie überzeugen, aus ihrem Stammhaus auszuziehen. Nun bietet die Hacienda fünfzehn Zimmer, und gerne treffen sich die Gäste vor dem offenen Kamin in der großzügigen Lounge, inmitten von gut hundert Jahren ecuadorianischer Geschichte.
Die Leidenschaft von Fernando gehört dem Kondor, der imposante Vogel gilt als der König der Anden. Fast bis zum Aussterben wurde er von den Farmern gejagt und vergiftet, die um ihre Schafe fürchteten. Heute steht er unter strengem Naturschutz. Eine halbe Stunde Fußweg von der Hacienda entfernt, liegt das Gehege, dort werden die verletzten Kondore gepflegt. Welch ein Glück, denn an diesem Tag sitzen zwei frei lebende Exemplare auf der Voliere und lassen ihre imposanten Schwingen von der Sonne wärmen. Dann senken sie plötzlich ihre Köpfe, schlagen mit den Flügeln und segeln davon. Minuten später kreisen sie über dem Tal, ohne die starken Aufwinde aus den tiefen Canyons der Anden können sie nicht fliegen, auf dem Erdboden wirken sie hilflos und plump.
Auch die Hacienda San Augustin de Callo am Fuße des Cotopaxi gehört zum Besitz der Familie Galo Plaza Lasso und ist heute ebenfalls ein Hotel. Entstanden aus einer ehemaligen Siedlung der Inkas, sieht man in etlichen Räumen noch die typischen, fugenlosen Mauern jener Hochkultur. Besonders dem kleinen Restaurant gibt diese Architektur eine unvergleichliche Atmosphäre.
Das Anwesen liegt nur gut zwei Autostunden südlich von Quito und viele Hauptbewohner verbringen hier gerne ihre Wochenenden. Hinreißend ist die Lage unterhalb des Cotopaxi, dem wohl schönsten Vulkan Ecuadors. Dieser perfekte Kegel von knapp 6000 Metern ist der höchste aktive Vulkan der Erde und sein Gipfel ist immer mit Schnee bedeckt. An seinen lang gestreckten Ausläufern lässt herrlich ausreiten, ein beliebtes Zeitvertreib aller Ecuadorianer. Auf dem sandigen Boden lässt sich herrlich galoppieren, vorbei an kleinen Bauernhöfen mit ihren hektisch kläffenden Hunden. Unter dem blauen Himmel funkelt der frische Schnee auf dem Cotopaxi und der Atem möchte einen stocken bei soviel landschaftlicher Pracht. Schon der Naturforscher Humboldt erlag der Faszination der Vulkane und hat 1802 den Begriff der „Avenida de los Volcanes“ geprägt. Die Straße beginnt südlich von Quito und umfasst die meisten der 73 Vulkane Ecuadors, von denen 17 noch aktiv sind.
Es geht weiter nach Süden und das nächste Ziel heißt Baños. Ein munterer Ferienort, wo viele Ecuadorianer ihre Wochenenden verbringen, um in den heißen Quellen zu baden. Dominiert wird diese Gegend von dem Vulkan Tungurahua, der für seine zahlreichen Ausbrüche berüchtigt ist. Seit dem 16. Jahrhundert bitten die Leute um die Fürsprache der Schutzherrin Nuestra Señora del Rosario de Agua Santa und 1773 soll die Heilige den Ort vor einem der schwersten Vulkaneruptionen gerettet haben. Die letzten glühenden Lavaströme kamen im August 2006, sie verwüsteten 5 Dörfer und 20 000 Hektar Ackerland. In der eher schlichten Basilika steht die Madonna über dem Altar und die Thermalquellen tragen den Namen „Baño de la Virgen“.
Bei Baños führt eine Straße vom Hochland in den Dschungel, entlang am Rio Pastaza. Der Regen der letzten Tage hat den Fluss in ein graubraunes Ungeheuer verwandelt, noch zusätzlich gespeist von unzähligen Wasserfällen, die über Hunderte von Metern in die Tiefe stürzen. Dann wird die Landschaft flacher, die Temperaturen steigen und mit Puyo ist die Hauptstadt der Regenwaldprovinz erreicht. Hier beginnt der Dschungel des Amazonasbeckens, die Heimat der indianischen Waldvölker. Bei dem Örtchen Cajabamba wartet Maria, die ein Projekt der DED zur besseren Ernährung der einheimischen Bevölkerung betreut. Unter einem Zeltdach zum Schutz gegen die sengende Sonne werden seit wenigen Jahren Salat und Gemüse angebaut. Zehn Familien haben sich bereit erklärt, um mitzuarbeiten und die überschüssigen Produkte werden auf dem Wochenmarkt in Puyo verkauft. „Nun verfügen diese Menschen zum ersten Mal über ein Bankkonto und können ihre Papiere eigenständig ausfüllen,“ erzählt Maria.
Zurück zur Avenida de los Volcanes wartet schon bald ein landschaftlicher Höhepunkt, es ist der 6310 m hohe Chimborazo, der höchste Berg Ecuadors, und ein Traumziel unzähliger Bergsteiger. Allerdings hat der Regen auch hier viele Pläne umgestoßen, denn gut ein Meter Schnee liegt auf der Route und viele enttäuschte Gipfelstürmer entscheiden sich für einen Ausflug nach Cuenca. Es ist sicherlich die schönste Stadt Ecuadors und ein großer Anziehungspunkt für Künstler, denn die einstige Inkahochburg gilt als eines der lebendigsten Kulturzentren Lateinamerikas. Unübersehbar ist die große Tradition in der Keramik und so erinnern Wandarbeiten und Skulpturen auf Plätzen, dem Campus der Universität und in Hotelhallen an die indianische Hochkultur.
Häufig geschaffen von dem renommierten Künstler Eduardo Vega, der in Cuenca geboren wurde.
Nach seinem Studium in Madrid und Paris hat er sich in seiner Heimat niedergelassen. Für ihn ein idealer Ort, denn nirgendwo in Ecuador lässt sich soviel europäischer Einfluss entdecken. In den letzten Jahrhunderten hatten hier viele Juden Zuflucht gefunden und prägten die Stadt mit ihrer Architektur. Oberhalb des Rio Tomebamba stehen imposante Häuser mit französischen Bauelementen, dazwischen verspielter Jugendstil und viel strenger Neoklassizismus. So manches Lokal hat sich hier eingemietet wie das Sankt Florian und von seiner Terrasse lässt Cuenca von seiner schönsten Seite kennen lernen.
Eigentlich kann man diese Stadt nicht verlassen, ohne eine Werkstatt für die berühmten Panamahüte besucht zu haben. Der älteste Hutmacher ist Alberto Pulla, der seit nun mehr 75 Jahren diese eleganten Sombreros herstellt. Je feiner das Stroh, umso teurer und die Topqualitäten kosten zwischen 800 – 1000 $ US.
Dagmar Kluthe
Fotos © Dagmar Kluthe
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