Reisebericht


Madeira – Der schwimmende Garten im Atlantik


Veröffentlicht am 24.01.2010 von Dagmar Kluthe in der Kategorie Europa.
Schlagworte: Blumen, Unberührte Landschaft, ursprünglich.


small village on coast of madeira island, portugal

Dunkelgrau brauen sich die Wolken in den Bergen über Funchal zusammen, dann öffnet der Himmel seine Schleusen und in warmen Fluten ergießt sich das Wasser von oben, kullert über die glänzenden Blätter der Kamelienbäume, tropft an den samtig roten Blüten des Hibiskus hinunter auf die Erde, spült den Staub von dem knorrigen Zweigen des Oleanders. Als wollte sich die Insel des ewigen Frühlings mitten im Atlantik reinigen, neue Kraft schöpfen für ein unerschütterliches Blühen und Gedeihen, saugt die Erde das Wasser auf, bilden sich schmale Rinnsale und kleine Pfützen. Doch wenig später ist der nasse Spuk vorbei, die Tausenden von Blüten stehen wieder im Sonnenlicht, als sei es nie anders gewesen. Kraftvoll leuchtet der Hibiskus, in lilafarbenen Wogen winden sich die Bougainvilleas an Häuserfronten und über Gartenmauern entlang, funkeln die letzten Tropfen auf den gelb-roten Fackellilien. Was bei uns nur im Blumentopf gedeiht, wächst in Madeira zu meterhohen Sträuchern wie der Weihnachtsstern aus Mexiko, treibt der Hibiskus aus Brasilien in dichten Büschen, betört der süße Duft der Frangipiani. Im Frühjahr steht man staunend vor den Rhododendronbäumen und Azaleen in allen Farben, und im Mai säumen die weißen Kaplilien die Straßenränder von Madeira. Hier kommen sie alle zu ihrem Recht, erobern sich ihren Platz auf der kleinsten Erdkrume und beginnen zu treiben, werden größer und prächtiger als anderswo.

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Die Wolken reißen auf und geben den Blick frei auf die faszinierende Landschaft der Insel mit ihren schroffen Bergen, jäh hinabstürzenden Steilküsten, den unzähligen Terrassen, die an Bali erinnern und den lieblichen Gärten, die auch in Südengland sein könnten. Nur wenige Orte auf der Welt bieten auf so wenig Fläche soviel unterschiedliche Vegetation wie dieser Fleck unweit des afrikanischen Kontinents, sind Verkehrsgewühl und Stille so nahe beieinander. Kaum eine halbe Stunde von Hauptstadt Funchal entfernt, wartet die feuchtkühle Einsamkeit der meist nebelverhangenen baumlosen Hochfläche, wo lediglich das Meckern von Ziegen zu hören ist. Und noch ein Stückchen weiter, über den Encumeada-Paß hinüber, breitet sich das unergründliche und wilde Grün der Nordküste aus, donnert die ungebremste Wucht der Atlantikwellen gegen die urzeitlichen Felsen aus Basalt und erstarrter Lava. Ein Zweikampf, der schon Millionen Jahre währt, seit eine vulkanische Eruption einen Kegel von 1860 Metern auf der Wasseroberfläche erscheinen ließ, das heutige Madeira. Hier im Norden besitzt die Natur noch die Oberhand, läßt den Menschen gewähren.

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„Der Bauer ist arm, aber er muß nicht hungern“, abgeschnitten und ein wenig vergessen unterscheidet sich dieser Teil der Insel vom quirligen dichtbesiedelten Süden. „Im Norden gibt es nichts außer Langeweile“, meint Urbano aus Funchal. Doch in diesem Nichts sitzen die Lebensnerven von Madeira, denn von dort kommt das Wasser. Die Wolken vom Atlantik bleiben an der zentralen Bergkette hängen und regnen sich aus, tauchen die dichte Vegetation in ein dickes Nebelmeer. Seit der Besiedelung Madeiras vor fast sechshundert Jahren muss das Wasser in befestigten Kanälen in den trockenen Süden geleitet werden, ohne diese Levadas“, die wie ein Netz das Eiland überziehen, würde es keine Blumeninsel im Atlantik geben. Der wenige Regen im Süden gleicht einem Tropfen auf einen heißen Stein, ohne das Wasser aus dem kühlen Norden würde man auf eine Halbwüste blicken.

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Ihren Ruf als schwimmender Garten verdankt Madeira den botanikverliebten Engländern. In den weitläufigen Parks ihrer stattlichen Herrenhäuser, den Quintas, kultivierten sie die Souvenirs aus den Kolonien in Übersee. Auch der britischen Pflanzenwelt gefällt es hier viel besser als in ihrer ursprünglichen Heimat. In faszinierender Üppigkeit wachsen tropische und subtropische Pflanzen in der vulkanischen Erde. Selbst in einer Höhe von 600 Metern, wo sonst Exoten aus feuchtheißen Ländern zum Scheitern verurteilt sind. Das schönste Beispiel ist Blandy’s Garden oberhalb von Funchal. Endlose Kamelienbüsche säumen den Weg vom Eingangstor zu dieser Quinta do Palheiro Ferreiro, bis ein Schild „private“ den Besucher stoppt. Hinter grossen Bäumen versteckt, liegt das imposante Herrenhaus, das an die herrschaftlichen Landsitze in den ehemaligen britischen Kolonien erinnert. Seit 1885 leben die Blandys, eine der reichsten Familien Madeiras, auf dieser Ouinta, die einst von Grafen von Carvalhal als Sommerresidenz und Jagdgelände angelegt wurde. Sich in den warmen Monaten in die Berge zurückzuziehen, gehörte zu den Gepflogenheiten der Oberschicht. Dort verbrachte man die Tage mit zahlreicher Dienerschaft und vielen emsigen Händen, die sich um die weitläufigen Gartenanlagen kümmerten. Heute sind viele der Quintas ein Opfer der Spekulation geworden oder fristen das wenig aufregende Dasein als Museum wie die Quinta das Cruzes oder als Schule wie die Ouinta Magnolia in Funchal. Aber im Haus der Blandys lebt unverändert die Familie und an den Vormittagen haben sie ihren Garten für Fremde geöffnet. Man spürt die Intimität eines privaten Parks, der immer von ambitionierten Besitzern gepflegt wurde. Es gehörte zum Zeitgeist der englischen Haute Volée, sich mit der exotischen Pflanzen zu beschäftigen. Da brachte der Neffe aus Indien ein paar Setzlinge mit oder die Kusine ein paar Samenkörner aus Brasilien. So pflanzte Mildred Blandy, die Mutter des heutigen Besitzers, die berühmten Proteas ihrer südafrikanischen Heimat. Zu Beginn wurde der Garten im französischen Stil angelegt, der nächste Erbe bevorzugte die englische Variante, und die 12 Hektar lassen genug Platz für eine Harmonie der beiden. Die Engelstrompeten wiegen ihre schweren Köpfe im Wind, wie stramme Soldaten stehen die Strelitzien nebeneinander.
Bei solch farbenfroher Pracht bleibt die ursprüngliche Pflanzenwelt fast auf der Strecke, nur wenige Arten schafften den weiten Weg über den Atlantik vor der Besiedelung und wurden dann ein Opfer menschlicher Vernichtung und Ausbeutung. Nur mehr in Einzelexemplaren in privaten Parks sieht man den einst häufigen Drachenbaum. Sein Lebenssaft, das Drachenblut, war als Farbstoff hoch begehrt und von dem gierigen Aderlass konnte sich der Baum meist nicht mehr erholen.
„Von dichtem Grün bewachsen“ notierte der portugiesische Seefahrer Zarco 1419 bei seiner Ankunft auf Madeira. Es war der Lorbeerwald, der durch die Brandrodung im Süden vernichtet und als Heizmaterial in den Bergen stark dezimiert wurde. Man sieht die knorrigen Bäume heute nur noch in abgelegenen Gegenden des Nordens. Auch die Fremdlinge, die sich übermäßig verbreiten wie der gelbe Zwergingwer aus dem Himalaya, verhindern jede neue Wurzel eines Lorbeerbaumes. Dazu wandern die Ziegen und Schafe über die Hochflächen, die jedem frischen Trieb den Garaus machen. Als Retter in der Not pflanzte man australische Akazie und Eukalyptus, um schnell wieder Bäume zu bekommen. Doch unter dem Eukalyptus gefällt es keiner Pflanze, bleibt der Boden kahl und mit jeden starken Regenguß wird noch mehr Erde abgeschwemmt. Verschwunden ist die Madeira-Zeder, ein Baumwachholder, sie lieferte die wunderbaren Holzdecken in den Kirchen und die Möbel der feinen Leute, die man heute im Museum Quinta das Cruzes bewundern kann.

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„In jeder Steinritze wächst ein Kaktus“, schrieb ein Adjutant der österreichischen Kaiserin Sisi an den Wiener Hof. Mitte des 19.Jahrhunderts war Madeira als Treffpunkt der adligen Gesellschaft in Mode gekommen. Dass Sisi diese Insel wegen ihrer Schönheit und Klimas gewählt hat, ist unwahrscheinlich. „Man kann nur Schritt reiten und die Pferde sind schlecht“, beklagte sich 1860 die kaiserliche Hoheit.

Dagmar Kluthe

© Fotos Udo Bernhart

Erschienen in „Eden“

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  1. Alles über Madeira bekommt man über das Portugiesische Fremdenverkehrsamt, Zimmerstr. 56, 10117 Berlin – Deutschland Telef.: 030/2541060
  2. Madeira wird täglich über Lissabon von der portugiesischen Fluglinie TAP angeflogen. Von Deutschland gehen die Charter LTU, Condor und Hapag Lloyd. Das Klima ist immer mild, fällt auch im Winter nicht unter 16 Grad.
  3. Blandys Garden liegt 9 Kilometer nordöstlich von Funchal und montages bis freitags von 9.30-12.30 Uhr geöffnet.
  4. Ein absolutes Muss ist Haus und Garten des Hotels Reid’s Palace in Funchal, man sollte sich zum High Tea einfinden.

 


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