Das ist ein großes Gefühl von Freiheit, diesen Hang mit nur wenig Menschen zu teilen. Ein Schwung reiht an den anderen, vergessen die Plackerei des Aufstiegs, die furchtsamen Blicke ins unbekannte, ungespurte Weiß.
Das Interesse an Skitouren wächst und wächst, denn viele Brettlfans haben die Freude an Pistenabfahrten verloren. Doch einfach losstapfen in die Freiheit der ungespurten Hänge sollte man nicht, steht doch beim Tourengehen ein profundes Wissen um die eigene Sicherheit im Vordergrund. Acht Neulinge stehen um Skilehrer Willy herum, der den Inhalt des Rucksacks erklärt, ein Muss für jeden, der sich im freien Gelände bewegt. Dazu gehören Schaufel und Lawinensonde, ein Biwaksack für längere unfreiwillige Aufenthalte im Schnee. Das wichtigste ist das Lawinensuchgerät, das eng am Körper getragen wird. Alles ist neu und ungewohnt, seien es die Skischuhe, die Bindung und natürlich der Ski, der leichter und weicher als die Carving- Ausrüstung für die Piste.
Es beginnt einfach und das ist auch gut so. Perfekt eignet sich die Region der Niederen Tauern für die ersten Ausflüge ins ungespurte Terrain. Doch eher misstrauisch blickt man auf diese charmante Bergwelt, wo einzig der Solitär des Grimming mit mächtigem Gestein von 2350 Metern droht.
Der Kurs beginnt auf der 1600 Meter hohen Planneralm, dem höchst gelegenen Skigebiet der Steiermark mit dem stolzen Aushängschild, dass hier nur auf Naturschnee gefahren wird. „Wir fahren die Piste mal hinunter, um die Ski kennen zu lernen,“ sagt Willy, und dann geht es ins Gelände.
Die Skitour „Hintere Gullingspitze “ macht den Anfang und im Gänsemarsch stapft die Gruppe los. Schon bald wird der Anorak zu warm, denn ein Föhneinbruch schaufelt jede Menge Luft in den Alpen. Aber es sind ohnehin erholsame Pausen angesagt, denn jeder muss mit der Lawinensonde üben und möglichst rasch mit der Schaufel ein Loch in den Schnee graben. Quasi als Schmankerl gibt es einen kurzen Anstieg auf den Großen Rotbühel, für den eigentlichen Gipfel reicht die Zeit nicht mehr und dann geht es zurück ins Skigebiet der Planneralm.
Da bleibt noch genügend Energie, um zur Hütte des Mörsbachwirtes zu laufen. In der Dämmerung wandern wir entlang der Rodelpiste zu „Theos uriger Hütte“ im Donnersbachwald. Seit mehr als zehn Jahre bewirtschaftet Theo Dürr mit seiner Familie die Almhütte aus 1300 Metern, die für ihre lokalen Spezialitäten bekannt ist. „ Nur wenn das Essen gut ist, kommen die Leute,“ sagt Theo und lockt mit Grammelknödel auf Sauerkraut oder Kasnock’n. Das bietet eine gute Grundlage für die 3,5 Kilometer lange Rodelbahn ins Tal. Gut 75 Schlitten kann Theo anbieten und die sind an guten Abenden schnell vergriffen. Dann hört man nur mehr das Schreien, Jauchzen und Lachen der Leute auf dem schnellen Weg ins Dorf.
Am nächsten Tag geht es in den Naturpark Sölktäler. Eine beschauliche Landschaft aus Almen, sanften Bergen und viel Wald, so dass Tourengehen auch bei grauem Wetter und leichtem Schneefall noch ein Vergnügen ist. Im Sommer verbindet der Sölkpass das Ennstal mit dem Murgtal und brachte den Einheimischen in der Vergangenheit ein gesichertes Einkommen durch den Transport des Ausseer Salz auf Saumpfaden. Erst seit 1964 gibt es eine Passstraße, die allerdings im Winter geschlossen ist.
An diesem Samstag im Januar ist das Wetter eher trüb und viel zu warm, doch am Parkplatz „Bauernhof Koller“ herrscht schon große Geschäftigkeit. Das 2226 Meter hohe Gumpeneck ist ein beliebtes Ziel, denn es ist eine abwechslungsreiche, eher einfache Tour, und zum Glück liegt auch eine Hütte auf dem Weg.
Mittlerweile dauert es nur mehr zehn Minuten, bis die Gruppe bereit zum Abmarsch ist. Da überprüft Skilehrer Willy noch gewissenhaft die Funktion der Lawinenpiepser und dann geht es auf Fellen durch den Wald. So beruhigend klingt das schlurfende Geräusch der Skier, dass anfängliche Gespräche verstummen und jeder seinen Gedanken nachhängt. Nach einer Stunde ist die Schönwetterhütte erreicht und Willy lässt sich zu einer Kaffeepause überreden. Dann wird es ernster, denn die steilen Almhänge treiben einen den Schweiß auf die Stirn. Am liebsten würden Katja und Juliane ihre Anoraks ausziehen, dann kommt ein kühler Wind über den Grat. „So ist es beim Touren gehen, meist zu warm und selten zu kalt,“ resümiert der Bergführer. Der Gipfel des Gumpeneck ist beinahe in greifbarer Nähe, doch auf dem letzten Stück ist der Schnee meist abgeweht und mühsam hangeln wir uns nach oben. Der Blick in die Landschaft der Sölktäler ist allemal eine echte Belohnung, zumal sich auch die Sonne für eine kurze Zeit hervorgewagt hat. Dann bei der Abfahrt genießt man jeden Meter, je weiter es ins Kar hinuntergeht, umso besser wird der Schnee. Da möchte niemand mehr mit der präparierten Piste tauschen.
Nun regt sich auch ein solider Hunger und bald ist die Schönwetterhütte wieder erreicht. Der Wirt Stefan Brugger ist im Stress, denn alle Tische sind besetzt. Man sollte gar nicht glauben, wie viele Leute heute in dieser Region unterwegs waren.
Wieder zurück durch den Wald, nun schmerzen die angestrengten Beinmuskeln und man spürt den müden Körper, auch das frische Weizenbier in der Hütte hinterlässt nun seine Spuren.
Am Sonntag wird es ernst, es geht zu einem der höchsten Gipfel der Region, dem Dachstein mit knapp 3000 Metern. Dort liegt das „Edelgrieß“, die bekannteste Variantenabfahrt der Ostalpen. Dieser Gletscher liegt in einem breiten Kar zwischen Türlspitz und Gamsfeldspitz. Die Abfahrt mit ihrer Steilheit von 40 Grad im oberen Teil verlangt ein sicheres Skifahren.
Es ist ein strahlend schöner Tag, allen Wetterprognosen zum Trotz. Das breite Plateau des Dachsteingletschers glitzert in der Sonne und es sind überraschend wenige Leute auf dem beliebten Skywalk der Bergstation. Einzig die Strandkörbe, das weiß-blaue Sylter Modell, sind schon alle besetzt. Aber in unserer Gruppe denkt keiner an Sonnenbaden, es herrscht eher eine aufregte Spannung, denn das Edelgrieß ist schon eine Herausforderung. Da bleibt nur Zeit für ein paar Fotos, dann geht es mit dem Austriaschartenlift zum Rosemarie- Stollen. Dieser Felsen kann nur über eine Eisenleiter erreicht werden. Also die Skier abschnallen und an den Seiten des Rucksacks festmachen und mit dem Skischuhen die Stufen hoch hangeln. Hinter dem Felsen ist wieder Selbstvertrauen gefordert, denn auf einem schmalen Ziehpfad muss man entlang zu laufen. Bloß nicht hinunterschauen.
Wieder die Skier anschnallen und dann wartet der Einsprung ins Kar. Doch Bergführer Willy warnt vor dem Übermut: „die Schneehöhe ist heuer nicht optimal, also alle hintereinander ins Kar einspringen.“ Einmal tief Luft holen und dann hinein ins Edelgrieß. Die ersten Schwünge sind mühsam durch den aufgewühlten Schnee der Vorgänger, aber dann öffnet sich das Kar und die Lust kann beginnen. Noch einmal muss der Ski abgeschnallt werden, weil zu viele Steine hervorschauen. „Leider ist heuer wohl kein guter Winter für diese Region“, meint Willy, aber bei allen überwiegt das Glück, diese Abfahrt bewältigt zu haben. Unten in der Ramsau scheint noch die Sonne und lockt zu einem Bummel durch den Ort.
Da fällt das Schild „Kleidermacher“ ins Auge und auf den ersten Blick ist es ein normaler Laden für Trachtenbekleidung. Erst wenn man Norbert Schrempf trifft, tut sich eine besondere Welt auf. Der Ramsauer hat den ersten Schladminger für Arnold Schwarzenegger geschneidert, das ist das berühmte Aushängeschild dieser Gegend. Ein Janker aus grauem Filz, einem eher harten Stoff, der mühelos Kälte und Dauerregen trotzt.
Seit 1929 gibt es diese Schneiderei, die heute in der dritten Generation von Mathias geführt wird. Immer noch aktiv ist der Vater Norbert, der in den 1960ziger Jahren die Blütezeit der Steg-Skihosen erlebt hat. Alle Skilehrer trugen diese engen Hosen und natürlich alle Schüler wollten auch. Dieser Boom hat die Schneiderei hat zahlreiche Jahre ernährt, heute sind es mehr die Trachtenanzüge oder Dirndlwesten aus feinen Stoffen der italienischen Zegna.
Doch die Steg-Skihosen erleben eine Renaissance, denn sie machen eine gute Figur und haben diesen Touch von Nostalgie. Sofort wird Maß genommen und in drei Wochen sollen die Hosen fertig. Gerade der richtige Zeitpunkt für die Dachstein-Überquerung, eine Skitour von 25 Kilometern von der Gipfelregion hinunter zum Hallstädter See. Jetzt wo alle so richtig Freude an Tourengehen gewonnen haben.
Dagmar Kluthe
© Fotos: Dagmar Kluthe
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